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Sonntag, 29. Januar 2023

Predigt von Norbert Wohlrab (29.01.2023)

Jahreslosung 2023 „Du bist ein Gott, der mich sieht“ (1. Mose 16,13)

Ein kleiner Junge einer katholischen Schule geht mittags in die Kantine zum Mittagessen. Am Beginn der Essensausgabe sieht er eine große Schüssel mit Äpfel stehen, daneben ein Schild: "Nimm dir einen Apfel, Gott sieht dir zu."
Als er dann am anderen Ende der Essensausgabe eine Schüssel mit Keksen sieht, schreibt er auf ein Schild: "Nimm dir soviele Kekse wie du willst, Gott beobachtet die Äpfel.“


„Du bist ein Gott, der mich sieht“. So lautet die Jahreslosung für dieses Jahr. Heute geht es also ums Sehen. Darum dass Gott - uns - sieht.

Dieser Vers aus dem ersten Buch Mose ist etwas ganz Besonderes - in vielerlei Hinsicht. Es ist nämlich das erste Mal, dass ein Vers für die Jahreslosung ausgewählt worden ist, der von einer Frau gesprochen wurde. Es handelt sich ja um den Ausspruch Hagars.
Zu den weiteren Besonderheiten komme ich später. Denn zuerst wollen wir uns den Vers mal - wie üblich - in seinem Kontext anschauen. Dazu lesen wir das Kapitel 16 einmal Vers für Vers. Ich habe dazu die Übersetzung aus „Neues Leben. Die Bibel“ (NLB)  ausgewählt.

V. 1 Doch Sarai, die Frau Abrams, bekam keine Kinder. Sarai hatte jedoch eine ägyptische Sklavin namens Hagar.

Im Kapitel vorher können wir lesen, wie Gott Abraham einen leiblichen Sohn und zahlreiche Nachkommen, so viele wie Sterne am Himmel verheißt. Nur wird da seine Frau Sarai noch nicht explizit erwähnt. Es ist jedoch der logische Schluss, dass diese Verheißung sie mit einschließt, da er eben mit ihr verheiratet war. Aber bisher ist noch nichts passiert. Sie wurde nicht schwanger.

Aber Sarai hat eine Magd. Oder sogar Sklavin. Aus Ägypten. Ihr Name ist Hagar. Hagar bedeutet im hebräischen „fremd bzw. die Fremde“. Es ist also anzunehmen, dass dies nicht ihr eigentlicher Name war, sondern sie nur so tituliert wurde. Vielleicht lautete ihr ägyptischer Name ähnlich und wurde umgewandelt. Vielleicht hat sich aber auch nie jemand für ihren Namen interessiert. Vielleicht war er schlichtweg egal. Sie war eine Fremde, eine Sklavin aus Ägypten. Vielleicht ein Geschenk des Pharaos aus ihrem letzten Aufenthalt in Ägypten (Kap. 12).

Nun hat Sarai eine Idee.

V. 2 Da sagte Sarai zu Abram: »Der HERR hat mir keine Kinder geschenkt. Schlaf du mit meiner Sklavin. Vielleicht kann ich durch sie Kinder haben.« Abram war einverstanden.

Dass was Sarai hier vorschlägt ist ein damals absolut rechtskonformes Verhalten. Eine orientalische Form der Leihmutterschaft. Die Sklavin war Eigentum von Sarai. Sie konnte sie also Abram geben. Und wenn Hagar dann ihr Kind in den Schoß von Sarai hinein gebiert, gilt es als Sarais leibliches Kind.
Und Abram willigt ein. Kurz vorher hieß es noch, dass er an Gottes Verheißung glaubt und Gott hat mit ihm sogar extra einen Bund gemacht, mit Feuer und Opfertieren (Kap. 15) und jetzt willigt er so einfach in diesen Handel ein?

Es ist zum einen schon irgendwie ein Ausdruck von mangelnden Glauben und auch von mangelnder Willensstärke, zum anderen denkt Abram vielleicht aber auch, dass Gott möglicherweise auf diesem Weg wirken möchte, denn es gab ja noch keine spezifische Verheißung für Sarai. Die kommt erst im nächsten Kapitel. Und außerdem war Gott ja für Abram noch ein recht unbekannter Gott.

Außerdem sagt man ja, ein kluger Mann hört auf die Ratschläge seiner Frau. Vielleicht ist Hagar auch jung und schön und Abram denkt sich: „Okay, wenn Sarai das unbedingt will, mir soll es recht sein.“
Wie auch immer. Es war auf jeden Fall ein ähnliches Prozedere wie im Garten Eden. Dort war es Eva, jetzt ist es Sarai die ihren Mann fehlleitet. Dort war es Adam und hier ist es Abram, der nicht dagegenhält.

V. 3 Sarai gab ihrem Mann ihre ägyptische Sklavin Hagar als Nebenfrau. Sie lebten damals schon zehn Jahre im Land Kanaan.

Abram heiratet jetzt ganz offiziell Hagar. Sie ist also nicht nur eine Konkubine, sondern seine offizielle Nebenfrau.

V. 4 Abram schlief mit Hagar und sie wurde schwanger. Als Hagar bemerkte, dass sie schwanger war, verachtete sie ihre Herrin Sarai.

Der Plan geht auf: Hagar wird schwanger, aber damit gehen die Probleme erst so richtig los in dieser etwas komplizierten Familienkonstruktion. In dieser 3er-Konstellation. Hier wäre wohl mal dringend eine Familienaufstellung nötig gewesen. „Drei sind einer zuviel“, es gab da mal eine Fernsehserie in den 70er-Jahren.

Hagar ist nun Abrams Frau und gleichzeitig Sarais Sklavin. Sarai ist also weiter ihre Herrin, aber sie darf jetzt nicht mehr mit ihr schalten und walten wie sie will, denn sie ist ja gleichzeitig Abrams Frau. Eine komplizierte Situation. Wer ist jetzt der Chef?

Und Hagar ist jetzt von Abram schwanger, vom Sippenoberhaupt und trägt jetzt sein Kind, vielleicht sogar den Sohn der Verheißung in sich. Immer wenn sie ihren Bauch stolz durch das Lager trägt, bedeutet das: „Seht her! Ich bin schwanger von Abram!“ Und jetzt blickt sie auf Sarai hinab, denn Sarai ist unfruchtbar. Und damit war sie damals die geringste, die verfluchte, die am meisten verachtete aller Frauen. Hagar überhebt sich jetzt.

V. 5 Da machte Sarai Abram einen Vorwurf: »Das ist alles deine Schuld! Jetzt, wo meine Sklavin schwanger ist, werde ich von ihr verachtet. Dabei habe ich sie dir doch zur Frau gegeben. Der HERR soll Richter sein zwischen dir und mir!«

So ganz logisch ist jetzt ihre Reaktion für mich nicht. Denn es war ja alles Sarais Idee. Aber sie beschwert sich bei Abram mit Recht über Hagars Verhalten. Hagar trägt offiziell ja nur Sarais Kind aus. Sie ist ihr Eigentum. Das Kind ist Sarais Kind. Sie hat keinerlei Recht sich über sie zu erheben oder sich gar jetzt als die wahre Ehefrau Abrams zu verstehen.

Ich denke Sarai hält ihm vor allem vor, dass er nicht genügend auf Hagar eingewirkt hat und sie zu respektvollem und demütigen Umgang mit ihrer Herrin aufgefordert hatte. Und das kann schon gut sein, denn man kann schon den Eindruck gewinnen, dass er sich gern raushält aus so zwischenmenschlichen Konflikten.

V. 6 Abram entgegnete ihr: »Sie ist deine Sklavin. Mach mit ihr, was du für angebracht hältst.« Doch als Sarai hart mit ihr umsprang, lief Hagar fort.
 

Hier hat man wieder den Eindruck Abram zieht sich aus der Verantwortung. Er will sich nicht einmischen. Denkt sich vielleicht auch: „Boah! Zickenterror! Sollen die doch machen was sie wollen.“ Auf jeden Fall wird hier jetzt irgendwie das ursprüngliche Rangverhältnis wieder hergestellt. Jetzt gilt wieder zuerst Hagars Stand als Sklavin.

Interessant ist, dass im Kodex Hammurabi, einer Gesetzessammlung aus dem 2. Jahrtausend vor Christus, ein ähnlicher Fall erwähnt wird. Dort steht nämlich:

„Gab sie ihren Eheherrn eine Sklavin, welche dann Kinder gebar; und beanspruchte dann diese Sklavin gleiches Recht wie ihre Herrin, weil sie Kinder geboren hatte, so durfte ihre Herrin sie nicht verkaufen; sie sollte sie zu den Sklaven rechnen.“

Und jetzt wo Sarai wieder das vollumfängliche Sagen hat, springt sie hart mit ihr um und Hagar läuft davon.

V. 7 Der Engel des HERRN fand Hagar in der Wüste neben der Quelle am Weg nach Schur.

Hagar flieht auf der Hauptstraße in Richtung Ägypten. Der Weg nach Schur ist eine bekannte Verbindung und wird öfters in der Bibel erwähnt. Dort lässt sie sich an einer Quelle nieder. Dort findet sie der Engel des Herrn, der hier das erste Mal in Erscheinung tritt. Und wenn im AT der „Engel des Herrn“ erwähnt wird, sind die meisten Ausleger der Meinung, dass damit der noch-nicht-Mensch-gewordene Messias in Erscheinung tritt. Jesus, als zweite Person der Dreieinigkeit, vor der Fleischwerdung.

V. 8 Er sprach zu ihr: »Hagar, Sklavin von Sarai, woher kommst du und wohin gehst du?« »Ich bin auf der Flucht vor meiner Herrin Sarai«, antwortete sie.

Gott weiß natürlich wo Hagar herkommt. Aber er fragt sie dennoch - irgendwie mitfühlend, fast seelsorgerlich. „Hagar. Wo kommst Du her? Wo willst Du hin?“ Er kennt sogar ihren Namen.
Und Hagar beantwortet nur eine der Fragen. Sie weiß, wo sie herkommt, aber weiß sie auch wo sie hin will? Schwanger, allein, ohne Mittel. Und was wäre, wenn sie es wirklich nach Ägypten schaffen würde? Sie wurde ja verkauft oder verschenkt? Wo soll sie denn hin? Würde es ihr dort besser gehen? Auf diese Frage hat sie vermutlich keine Antwort. Sie ist übrigens hier die erste Frau nach Eva in der Bibel, die mit Gott spricht. Und auch noch eine Ägypterin.

V. 9 Da sprach der Engel des HERRN: »Kehr zu deiner Herrin zurück und ordne dich ihr unter.

Das ist jetzt vielleicht erstmal nicht das, was sie hören möchte. Sie soll zurück zu Sarai, die sie so fertig gemacht hat? Fliehen und irgendwo neu beginnen wäre doch die deutlich schönere Lösung.
Das ist ja auch genau das, was viele oft probieren, wenn beispielsweise die Ehe schwierig wird: davon laufen und mit jmd. anderes neu starten. Wir erleben es gerade wieder im Freundeskreis. Oder bei Schwierigkeiten am Arbeitsplatz. Man kann es nicht ganz vergleichen, aber ein bisschen ähnlich ist es schon.

Aber Gott sagt hier: Geh zurück und beuge dich, demütige dich, ertrage ihre Härte. Nimm dein Kreuz auf Dich! Aber dann kommt doch noch etwas Positives:

V. 10 Ich werde dir mehr Nachkommen geben, als du zählen kannst.
V. 11 Du wirst einen Sohn bekommen. Nenne ihn Ismael, denn der HERR hat deine Hilferufe gehört.
V. 12 Dein Sohn wird ungezähmt sein wie ein wilder Esel! Er wird sich gegen alle stellen und alle werden gegen ihn sein. Ja, er wird mit allen seinen Brüdern im Streit leben.«


Jetzt bekommt auch Hagar eine Verheißung. Die Frau, die eigentlich überhaupt keine Rolle spielen sollte in der Geschichte. Diese Frau bekommt eine Verheißung für ihren Sohn, den es überhaupt nicht geben sollte.
Genau wie Abram bekommt sie eine Verheißung bezüglich einer unzählbaren Nachkommenschaft. Sie wird einen Sohn bekommen. Gott hat auch schon seinen Namen ausgewählt: Ismael, das heißt „Gott hört“, weil Gott ihre Hilferufe gehört hat, von denen steht gar nichts in der Bibel, aber es hat sie wohl gegeben.
Sie ist eine der wenigen Frauen in der Bibel, die den Namen ihres Sohnes von Gott ausgesucht bekommen (Elisabeth, Maria….).

Und dieser Sohn, dieses Volk das aus ihm hervorgeht, wird ganz anders sein als es ihr jetzt ergeht. Sie ist die Unfreie, die Sklavin. Aber Ismael wird frei und wild sein, wie die Wildesel in der Steppe. Er wird stark sein und sich niemanden unterordnen. Man vermutet, dass die arabischen Nomaden die Nachfahren der Ismaeliter sind.
Das was für uns vielleicht erstmal gar nicht so toll klingt (wilder Esel?), muss in Hagars Ohren ganz anders geklungen haben: mein Sohn der Freie, der Kämpfer, der Streiter, der Wilde.

V. 13 Da nannte Hagar den HERRN, der zu ihr gesprochen hatte, El-Roï („Gott des Sehens“). Denn sie sagte: »Ich habe den gesehen, der mich sieht!«

Oder in anderen Übersetzungen:

„Du bist ein Gott, der mich sieht“ (LU17)
„Du bist El-Roï - Gott schaut auf mich“ (EÜ)

Jetzt sind wir also endlich bei der Jahreslosung.

  • Der erste von einer Frau gesprochene Vers in einer Jahreslosung.
  • Die erste Frau, die außerhalb des Paradieses mit Gott spricht.
  • Der erste Mensch in der Bibel, der eine Begegnung mit dem Engel des Herrn hat.
  • Die erste Frau, der eine göttliche Verheißung für ihr Kind zugesprochen wird.
  • Und die erste Theologin. Denn was Hagar hier formuliert ist Theologie! Sie beschreibt Gott aus ihrer eigenen Erfahrung. „Du bist ein Gott, der mich sieht.“ Gott ist ein sehender Gott. Sicher, es ist nur Erfahrungstheologie, aber eine wahre Beschreibung Gottes.


Gott hat mich wahrgenommen. Er hat mich angesprochen. Er interessiert sich für mich. Er hat mein Schreien gehört. Gott sieht mich von Angesicht zu Angesicht. Das ist mehr als alle Likes auf instagram.

Sie beschreibt Gott so, wie sie ihn gerade erlebt hat. Und das ist etwas, das können wir auch:

  • Du bist der Gott, der mich von meiner Drogensucht befreit hat!
  • Du bist der Gott, der mich geheilt hat!
  • Du bist der Gott, der meine Wege geführt hat!
  • Du bist der Gott, der mir eine Familie geschenkt hat!
  • So wie wir ihn eben - jeder persönlich -  in unserem Leben erfahren und erlebt haben.


Zurück zu Hagar. Trotz der Begegnung mit Gott und der Verheißung wird nicht einfach alles gut. Hagar wird gesehen, wertgeschätzt, geliebt und muss trotzdem zurück in die schwierigen Lebensumstände. Muss sie ertragen. Aber sie macht es. Ob sie von dieser Begegnung erzählt hat? Auf jeden Fall lesen wir später, dass Abram den Sohn Ismael nennt (V. 15), also muss irgendein Austausch stattgefunden haben.
Ich kann mir gut vorstellen, dass sie Abram von dieser Begegnung erzählt hat und Abram ihr geglaubt hat. Er hatte ja selbst schon seine übernatürlichen Begegnungen mit Gott gehabt.

Es erinnert mich ein bisschen an den Psalm 23. Dort heißt es ja im Vers 1: „Der HERR ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln“ und dann im Vers 4 „auch wenn ich wandere im Tal des Todesschattens“ (ELB).

Auch hier bewahrt der Segen, der Zuspruch,  die Versorgung, die Gegenwart Gottes nicht vor dem Gang durchs finstere Tal, durchs Tal der Todesschatten. Und David wusste wovon er schrieb.

Oder wie wir es letzte Woche im Hausgottesdienst gelesen haben:

„Seid um nichts besorgt, sondern in allem sollen durch Gebet und Flehen mit Danksagung eure Anliegen vor Gott kundwerden; und der Friede Gottes, der allen Verstand übersteigt, wird eure Herzen und eure Gedanken bewahren in Christus Jesus.“ (Phil. 4, 6.7 ELB)

Nicht die Lösung aller Probleme wird zugesagt, sondern Gottes Frieden! Hagar hat zu Gott geschrien und gefleht und er stärkt sie durch diese Begegnung, gibt ihr Frieden, aber ändert nicht die Umstände.

Ist das jetzt nur eine Einzelbegegnung, ein Einzelfall in der Bibel? Ja und Nein.

Ja, es ist wirklich eine ganz besondere Begegnung zwischen Gott und Hagar. Gott offenbart sich nicht immer so, er begegnet nicht immer den Menschen auf diese persönliche Art und Weise. Hier geschieht schon etwas ganz Besonderes, etwas sehr Berührendes wie ich finde. Und auch der Gottesname „El Roi“ wird nur an dieser Stelle erwähnt.

Aber auch nein, denn wir lesen:

„ Der HERR schaut vom Himmel herab und sieht alle Menschen, von seinem Thron aus sieht er jeden einzelnen.“ (Ps. 33, 13.14 NLB)

Gott sieht alle Menschen. Gott sieht uns. Er kennt sogar die Anzahl unserer Haare (Mt. 10,30). Ich denke, das ist ein Bild dafür, dass er uns und unser Leben in allen Details kennt.
Und wenn wir uns bspw. das Leben Jesu anschauen, dann sehen wir da sehr viele Begegnungen von der Art und der Tiefe, wie die von der wir heute gehört haben. Denken wir bspw. an die Begegnung mit Zachäus. Jesus sieht den, den sonst keiner sehen will, den keiner wahrnimmt, den niemand zum Freund haben will und kehrt bei ihm ein.

Und so wie Hagar durch die Begegnung mit Gott umgekehrt ist, ist auch Zachäus umgekehrt und hat sein Leben geändert.

Nochmal zurück zu unserem Text in Mose 16. Da geht es weiter.

V. 14 Die Quelle erhielt später den Namen Beer-Lachai-Roï („Brunnen des Lebendigen, der mich sieht.“). Sie liegt zwischen Kadesch und Bered.

Der Brunnen wurde also später nach dieser Begegnung genannt. Und es wird der Brunnen sein, an dem Isaak sich viele Jahre später ansiedelt.

Ein neues Jahr hat begonnen. Ich würde mir für uns alle wünschen, dass wir viele Begegnungen mit Gott in diesem Jahr haben, wo wir ihn erleben, als der, der uns ansieht, der uns hört, der zu uns spricht, uns hilft oder uns auch zur Umkehr leitet.

Hagar hat zu Gott geschrieen. Vielleicht haben wir nicht alle Nöte, die uns schreien lassen. Aber wir können ihn alle suchen, seine Gegenwart suchen.

Noch einen Vers des Kapitels noch zum Abschluss. Damit auch alles rund ist.

V. 15 Hagar aber gebar Abram einen Sohn und Abram nannte ihn Ismael.

AMEN.

Sonntag, 9. Dezember 2018

Predigt von Norbert Wohlrab (09.12.18)

Die kanaanäische Frau

Ich möchte heute mit Euch einen Text betrachten, über den ich neulich gestolpert bin. Und zwar die Begegnung von Jesus mit der kanaanäischen Frau, von der uns bei Matthäus und bei Markus berichtet wird.

„21 Und Jesus ging weg von dort und entwich in die Gegend von Tyrus und Sidon.
22 Und siehe, eine kanaanäische Frau kam aus diesem Gebiet und schrie: Ach, Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Meine Tochter wird von einem bösen Geist übel geplagt….
28 Da antwortete Jesus und sprach zu ihr: Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst! Und ihre Tochter wurde gesund zu derselben Stunde.“ (Mt. 15, 21-28 Luther)
 


So kennen wir Jesus. Er heilt und befreit und begegnet den Nöten der Menschen. Aber den Bibelkennern unter uns ist vielleicht etwas aufgefallen?
Genau, hier fehlt der Mittelteil des Abschnittes. Da passiert nämlich noch etwas dazwischen. Der Mittelteil lautet nämlich. (Meine Tochter wird von einem bösen Geist übel geplagt….)

„23 Er aber antwortete ihr kein Wort. Da traten seine Jünger zu ihm, baten ihn und sprachen: Lass sie doch gehen, denn sie schreit uns nach.
24 Er antwortete aber und sprach: Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.
25 Sie aber kam und fiel vor ihm nieder und sprach: Herr, hilf mir!
26 Aber er antwortete und sprach: Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde.
27 Sie sprach: Ja, Herr; aber doch essen die Hunde von den Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen.“
 


Äh, Moment, so kennen wir Jesus eigentlich nicht. Jesus sagt doch: „wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen“ (Joh. 6,37). Und jetzt hier, dieses schroffe Ignorieren und Abweisen dieser leidenden Frau?!

Den Jüngern ging es hier wohl so ähnlich, wie wenn man auf einer Party jmd. vorstellt, den man meint sehr gut zu kennen und dann verhält sich der auf einmal völlig anders.

Aber schauen wir uns die Begebenheit mal der Reihe nach an.
Jesus war in Galiläa unterwegs. Er speiste die Fünftausend, rettete Petrus aus Seenot, heilte viele Menschen in Genezareth und setzte sich mit Pharisäern und Schriftgelehrten auseinander. Und dann wollte er ihnen entkommen und „entwich in die Gegend von Tyrus und Sidon“.
Im Paralleltext bei Markus steht: „Und er ging in ein Haus und wollte es niemanden wissen lassen“ (Mk. 7,24).

Die Beweggründe sind nicht ganz klar. Aber auf jeden Fall hat sich Jesus zurückgezogen. Von Galiläa rund 60 - 90 km nach Tyrus und Sidon. 2-3 Tagesmärsche. Nur er mit seinen Jüngern. Es scheint, als wollte Jesus einfach seine Ruhe. Vielleicht dem Massenandrang entkommen. Vielleicht sich der Verfolgung entziehen. Vielleicht einfach auftanken. Einfach Ruhe. Das versteh ich. Ich will im Urlaub auch keinen Trubel um mich rum.

Keine Juden, keine Pharisäer, keine Schriftgelehrten. Keine Menschen die was von ihm wollten und auch keine Menschen die ihn etwas Böses tun wollten. Niemand, der sich für ihn interessiert hat, denn Tyrus und Sidon sind zwei Städte in Syro-Phönizien, dem heutigen Libanon, weit außerhalb des jüdischen Staatsgebietes, tief im Heidenland.
Kurz vorher hatte er den Pharisäern noch klar gemacht, dass nicht das Äußerliche den Menschen verunreinigt. Er hatte keine Berührungsängste mit den Heiden.

Jesus hatte sich also eine Art von Urlaub, eine Art Auszeit genommen. Aber das mit der Ruhe hat nicht ganz geklappt, denn er „konnte doch nicht verborgen bleiben“ (Mk. 7,24) heißt es. Auch im Ausland hatte man schon von seinen Wundertaten gehört.

Dann kommt eben diese kanaanäische Frau zu ihm. Markus beschreibt sie als „Griechin aus Syrophönizien“ (Mk. 7,26), deren Tochter dämonisiert ist.
Kanaan ist die alte Bezeichnung für die Region, Syro-Phönizien die gegenwärtige, also kein Widerspruch. Aber Griechin? Das bedeutet wohl die Zugehörigkeit zur hellenistischen Kultur der Oberschicht in dieser Region. Tyrus und Sidon waren reiche Handelsstädte, hellenistisch und multireligiöse geprägte Städte.

Die Frau spricht Jesus an als Sohn Davids. Und Jesus reagiert erstmal gar nicht. Er sagt nichts. Kein Wort. Das schmerzt richtig beim Lesen.
Die Jünger sind schon genervt von ihrem Geschrei und bitten ihn, dass er etwas macht. Und dann erklärt Jesus - eigentlich den Jüngern - seine Haltung. „Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.“

Jesus hatte eine klare Mission von seinem Vater bekommen. Er war der Messias Israels. Ja, er war der Sohn Davids. Aber diese Frau war keine Tochter Davids. Sie war eine Heidin.
Er war zu den verlorenen Schafen Israels gesandt. Zum Volk Israel. Er sollte die loskaufen, die unter dem Gesetz waren (Gal. 4,4). Gott ist zunächst „nur“ der Gott Israels, nicht der Gott anderer Völker.

Es gab natürlich von Anfang an den Plan, dass dies nicht das Endziel ist. Zu Abraham sagte Gott: „und in dir und in deiner Nachkommenschaft sollen gesegnet werden alle Geschlechter der Erde“ (1. Mose 28,14 Rev. Elb.) und es gab Verheißungen im AT, dass die Schranke zu den Heiden einmal weggerissen werden wird. Aber das war zu dieser Zeit noch Zukunftsmusik.

„Geht nicht den Weg zu den Heiden und zieht nicht in eine Stadt der Samariter“ (Mt. 10,5 Luther), sagte Jesus, als er die Zwölf vorher ausgesandt hatte. Die Schranke zu den Heiden war noch nicht niedergerissen. Das geschah ja erst am Kreuz.
Jesus war also nicht auf Missionsreise in Syro-Phönizien unterwegs, wie später die Apostel. Die Frau kam zur falschen Zeit aus einer falschen Nation. Sie kam einfach heilgeschichtlich betrachtet zu früh. Sie hätte sozusagen auf Paulus warten müssen.

Aber sie lässt nicht locker. Jesus hat ja auch nicht gesagt, dass er nichts tun wird. Er hat nur den Jüngern sein Verhalten erklärt.

„Herr, hilf mir!“ sagt sie. Und dann kommt diese barsche Antwort:
„Doch er erwiderte: »Es ist nicht recht, den Kindern das Brot zu nehmen und es den Hündlein hinzuwerfen.«“ (Mt. 15, 26 Menge)

Uff! Harter Tobak.

Bei Markus heißt es noch etwas anders:

„Lass zuvor die Kinder satt werden; denn es ist nicht recht, dass man den Kindern das Brot nehme und werfe es vor die Hunde“ (Mk. 7,27)

Markus fügt hier noch da Wort „zuvor“ ein. Damit werden die anderen nicht gänzlich ausgeschlossen, sondern nur hinten angestellt. Markus schrieb sein Evangelium ja auch für die Heiden und Matthäus dagegen für die Juden.

Dieser Satz ist jetzt eigentlich mehrdeutig:
Zunächst Hunde ist die hebräische Bezeichnung für die Heiden, auch wenn Jesus hier abgemildert Hündchen sagt. Und Jesus ist das Brot des Lebens (Joh. 6,48) und ist zuerst zu den Kindern Israels gesandt. Zunächst sollen die Kinder Israels satt werden. Ihr geistlicher Hunger und Durst soll gestillt werden, ihre Erlösung soll bewirkt werden. Dies ist eigentlich eine Wiederholung der Erklärung, die Jesus den Jüngern gegeben hat, nur mit anderen Worten.

Aber dieser Satz hat auch noch eine andere Dimension. Eine sozialkritische Dimension. Tyrus und Sidon waren -  wie bereist erwähnt - reiche Handelsstädte. Die tyrische Währung war eine der härtesten Währungen des Altertums, so wie die DM bspw.
Wegen des gebirgigen Hinterlands konnte dort aber nur wenig Landwirtschaft betrieben werden - im Gegensatz zu Galiläa. Und so importierte Tyrus schon zu Zeiten Salomons Getreide und weitere Lebensmittel aus Israel (1. Kön. 5, 22-25; Hes. 27,17; Apg. 12,20) und eben auch damals in neutestamentlicher Zeit. Was zur Folge hatte, dass die arme Bevölkerung Galiläas Hunger leiden musste.

Und so könnte Brot in diesem Vers auch ganz wörtlich als Brot zu verstehen sein.

„Lass zuerst die armen Leute im jüdischen Hinterland satt werden. Denn es ist nicht gut, das Brot der armen Leute zu nehmen und es den reichen Heiden in den Städten hinzuwerfen.“ (Gerd Theißen)

Damit wäre dies ein Gerichtswort gegen die Ausbeutung der Armen in guter prophetischer Tradition, wie wir es von den Propheten des AT kennen.

Welche der beiden Interpretationen auch die richtige sein mag oder ob beide gleichzeitig richtig sind. Die Frau hat verstanden. Sie rechtfertigt sich nicht, wie man es so gerne tut: „Oh Herr, die Umstände….und ich kann doch nichts dafür….und die anderen….und du weißt doch….man muss doch sehen, wo man bleibt….es sind schwierige Zeiten….und die Steuern“, sondern sie sagt einfach: „Ja, Herr“. Sie stimmt zu. Sie stimmt mit Jesus überein:

Ja, ich bin keine Israelitin.
Ja, ich habe keinen Anspruch an Dich.
Ja, Du bist nur zum Volk Israel gesandt.
Und vielleicht auch: Ja, wegen uns müssen die Galiläer hungern.

Sie stimmt mit Jesus überein. Die Bibel nennt das Bekennen. Mit Gott einer Meinung sein.
Und demütig sagt sie dann: Ja, aber für die Hunde fällt doch auch ein bisschen was ab bei Tisch. Ein paar Krümel. Und die gewährt man ihnen.

Ein bisschen Segen, ein bisschen Gnade, ein bisschen vom Brot des Lebens muss doch auch für mich Heiden-Hündchen übrig bleiben.

Und Jesus gewährt ihr daraufhin ihre Bitte, heilt ihre Tochter und lobt ihren großen Glauben.
Interessant ist, dass er dies nur bei zwei Menschen tut. Bei ihr und bei dem Hauptmann von Kapernaum, der für seinen kranken Diener bittet (Mt. 8, 5-13). Ebenfalls ein Heide.

Was hat sich geändert? Oder hat sich überhaupt etwas geändert?

Die Bibel erklärt ja bspw., dass Jesus bis zu seinen letzten Stunden durch sein Leiden Gehorsam lernen musste (Hebr. 5,8). Hat Jesus hier umgelernt? Nein, ich denke nicht. Oder hat die Frau ihn überredet? Das wäre so die feministische Interpretation dieser Stelle. Nein, das denke ich auch nicht.

Jesus hat ja nie gesagt, dass er ihr nicht helfen wird, Er hat nur erklärt, dass er zuerst zum Volk Israel geschickt ist. Ich denke, dass es von Anfang an in Gottes Willen war, dass er hier eingreift. Vielleicht ist Jesus auch durch die Leitung seines Vaters extra dorthin gegangen um dieser Frau zu begegnen. Wir wissen es nicht.

Aber es wird trotzdem etwas deutlich, nämlich dass das Einreißen der Mauer zu den Heiden bevorsteht. Insofern hat diese Begegnung mit der syro-phönizischen Frau eine symbolische und auch prophetische Bedeutung. Es dauert ja auch nicht mehr lange dann werden die Jünger ausgesandt nach Samaria und an die Enden der Erde zu allen Völkern.

Die Begegnung mit der syro-phönizischen Frau ist eingebettet in die zwei Wunder der Brotvermehrung. Beim ersten mal blieben 12 Körbe übrig. Das ist jetzt ein bisschen was für die Numerologen. 12 Körbe für die 12 Stämme Israels. Überfließende Gnade für Israel.
Beim zweiten blieben 7 Körbe übrig. 7 ist die Zahl für das umfassende Wirken an der ganzen Schöpfung. Überfließende Gnade für die Welt. Ich weiß nicht ob das wirklich so ist, aber es ist zumindest mal ganz interessant.

Gut, aber was kann uns dieser Text heute sagen? Was können wir von dieser Frau lernen? Wir haben den Bibeltext jetzt verstanden, aber was sagt er uns heute?

Martin Luther hat die Frau als Mutter des Glaubens bezeichnet. Eine Frau die nichts hat, außer ihren Glauben an Jesus. Sie weiß, dass sie keinen Anspruch hat und nichts zu bieten hat. Sie weiß, dass sie sündig ist.
Wenn wir heute Jesus bitten, dann tun wir das zwar als Gerechtfertigte, aber trotzdem als schwache, unvollkommene, sündige Menschen, die nichts zu bieten haben. In Demut können wir sagen: „Ja Herr, ich bin schwach, ich habe nichts, ich brauche Dein Eingreifen.“

Die Frau bleibt bei Jesus. Sie lässt sich weder von seinem Schweigen irritieren, noch von seiner Belehrung. Sie bleibt da. Sie harrt aus. Sie bleibt in seiner Gegenwart. Wenn wir beten und keine Antwort erhalten, ist das nicht automatisch ein Nein.

Das NT ist voll von Beispielen und Aufforderungen, in denen das nachhaltige Bitten belohnt wird und auch erwartet wird. Z. B. bei der bittenden Witwe beim ungerechten Richter oder bei dem Freund, der um Mitternacht klopft. Beiden wird wegen ihrer Hartnäckigkeit und Unverschämtheit gegeben. Gott will aus Güte geben.

Könnte es sein, dass wir oft zu schnell aufgeben? Dass wir denken, Gott will unser Bitten nicht erhören, nur weil es noch nicht geschehen ist?

Von der Frau können wir lernen im Glauben an der Sache dranzubleiben, weiter zu bitten, nicht aufzugeben, nicht nachzulassen, beharrlich zu sein.

Betet allezeit, betet ohne Unterlass, mit aller Beharrlichkeit etc. So können wir es oft lesen im NT.

Weder die Frau, noch der Hauptmann von Kapernaum baten für sich selbst, sondern für ihnen nahestehende Menschen.
Wer sind unsere nahestehenden Menschen, die unsere Fürbitte nötig haben? Familie, Freunde, Nachbarn. Oft haben sie gar keinen anderen Beter, außer uns (wenn man nicht gerade in so Ballungszentren mit lauter Christen wohnt). Wenn wir dann nicht beten, betet vielleicht gar keiner. Und wie schnell wird man müde und zermürbt und bequem, wenn es sich über Jahre und Jahrzehnte hinzieht und nichts geschieht.

Im AT können wir an vielen Beispielen lernen weiter zu beten oder mit Gott weiter zu reden, wenn er schweigt.

„Steh auf, HERR! Gott, erhebe deine Hand! Vergiss die Elenden nicht!“ (Ps. 10,12 Luther)

Die Psalmen sind dabei wunderbare Beispiele dafür anhaltend im Gebet zu bleiben.

Eine Frage, die sich stellt, ist: Ist Beten Gott überreden? Ist Beten eine Art von Gott weichklopfen?
Man könnte jetzt ganz einfach sagen: Du bekommst nicht, was nicht Gottes Wille ist. Aber die Geschichte Israels zeigt, dass Gott seinem Volk öfters Dinge gegeben hat, die sie wollten, auch wenn sie nicht in seinem Willen waren. Z.B. Fleisch in der Wüste zusätzlich zum Manna (4. Mo. 11),  das östliche Gebiet am Jordan für zweieinhalb Stämme, die nicht über den Jordan ziehen wollten (4. Mo. 32), einen König (1. Sam. 8). Mit meistens negativem Ausgang. Also es gibt Beispiele wo Gott überredet werden konnte. Trotzdem denke ich, dass dies nicht das ntl. Regelprinzip von Gebet und Fürbitte ist.

Gebet und Fürbitte bewegt sich in den Parametern zwischen:
Ihr habt nicht, weil ihr nicht bittet (Jak. 4,2) und Euer Vater weiß was ihr braucht bevor ihr ihn bittet (Mt. 6,8);
zwischen den Willen Gottes vom Himmel auf die Erde bringen (charismatisch-pfingstkirchliches Verständnis) und „Abhängen“ mit Gott. Aus irgendwelchen Gründen hat sich Gott von unserem Beten abhängig gemacht. Und wir tun es viel zu wenig.

AMEN.

Sonntag, 24. Januar 2016

Predigt von Norbert Wohlrab (24.01.16)

Gedanken zur Jahreslosung 2016                           


1. Begriffsklärungen

Die Jahreslosung für 2016 lautet:

Gott spricht: „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“ (Jes 66,13a Luther)

Trösten wie eine Mutter tröstet?!

Vor einigen Wochen gab es einen Spiegel (52/15) mit dem provokanten Titel: „Sind Väter die besseren Mütter?“ Weil ich das insgeheim schon immer vermutet hatte, habe ich ihn mir natürlich gleich gekauft. In dem sehr interessanten Artikel vergleicht die Entwicklungs-psychologin Liselotte Ahnert - völlig wertneutral - das unterschiedliche Erziehungsverhalten von Vätern und Müttern bei Kleinkindern. Und sie stellt dabei u.a. fest, dass Väter und Mütter in Frustrationssituationen ganz anders reagieren:
Mütter reagieren viel schneller auf die Unpässlichkeiten der Kinder, versuchen negative Emotionen umgehend auszubalancieren und trösten mit körperlicher Nähe und Zuneigung.
Väter reagieren dagegen deutlich gelassener und sie benutzen eine Umlenkungstaktik („Reframing“), um den Kind zu ermöglichen die frustrierende Situation anders zu bewerten und sich einer neuen Situation zuzuwenden und so die Emotionen selber regulieren zu können. (Nebenbei bemerkt ein deutlicher Unterschied wurde auch in Väter-Kind und Mutter-Kind-Krabbelgruppen deutlich: bei den Vätern war es ganz ruhig und entspannt.)

Väter trösten also anders als Mütter. Mütter trösten durch mehr körperliche Nähe. Vielleicht einfach auf Grund der einzigartigen physischen Beziehung die eine Mutter und ihr Kind in der Schwangerschaft miteinander haben. Sie waren ja monatelang eine körperliche Einheit, hatten denselben Blutkreislauf, das gleiche Essen, haben einander stets gespürt , sie waren immer am selben Ort, ganz ohne eigenes Zutun. Die Mutter war immer da. Das Kind war immer dabei.
Beim Stillen wird diese Nähe dann auch noch weiter fortgesetzt. Dadurch hat vermutlich der Trost der Mutter eine ganz andere emotionale Tiefe als der des Vaters. „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“ Das ist wie ein Heim-kommen in völlige Geborgenheit. Gott gebraucht dieses Bild um ein Maximum an Geborgenheit auszudrücken.

Könnt Ihr Euch erinnern wie Ihr von Euren Müttern getröstet wurdet? Oder Ihr Mütter: Wie habt Ihr Eure Kinder getröstet?

Trotzdem ist es jetzt erstmal ungewöhnlich für unser theologisches Gottesbild, dass Gott sich hier als Mutter darstellt. Dieser Vers stammt ja nicht aus einer Bibel in gerechter Sprache, sondern aus einer ganz normalen Lutherübersetzung. Wird Gott uns nicht in der Bibel von Anfang an als unser Vater, also als Mann dargestellt?!

Nun, zum einen muss man sagen, dass Gott hier ja nicht sagt, dass er die Mutter ist, sondern wie eine Mutter tröstet. Aber er gebraucht tatsächlich ein weibliches Bild, wie auch an einigen anderen Stellen in der Bibel. Zwei Beispiele dafür:


„Den Felsen, der dich gezeugt, täuschtest du und vergaßest den Gott, der dich geboren.“ (5. Mose 32,18 Rev. Elb.)

Gott stellt sich hier also als gebärende Frau dar.

„Vergisst etwa eine Frau ihren Säugling, dass sie sich nicht erbarmt über den Sohn ihres Leibes? Sollten selbst diese vergessen, ich werde dich niemals vergessen.“
(Jes. 49,15 Rev. Elb.)


Hier vergleicht er sich mit einer stillenden Mutter.

Das hebr. Wort für Trost (nchm) ist übrigens verwandt mit dem Wort für Barmherzigkeit/Erbarmen/Mitgefühl (rachamim) und dieses wiederum kommt vom Wort für Mutterschoß/Gebärmutter (rachäm). Also auch hier wird wieder die weibliche Seite deutlich.

Also, wie sollen wir uns Gott vorstellen? Als Vater, als Mutter, als Wolke wie die Schichina im Tempel, als Feuer- oder Wolkensäule wie bei Mose? Müssen wir uns Gott überhaupt vorstellen?

Gott sagt über sich selbst:

„Denn Gott bin ich und nicht ein Mensch, in deiner Mitte der Heilige“ (Hos. 11.9b Rev. Elb.)


Und er spricht bei der Schöpfung des Menschen:

„Und Gott sprach: Lasst uns Menschen machen in unserm Bild, uns ähnlich! …Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bild, nach dem Bild Gottes schuf er ihn; als Mann und Frau schuf er sie.“ (1. Mose 1, 26.a.27 Rev. Elb.) 


Gott ist kein Mensch wie wir, er ist kein geschlechtlicher Mensch, er ist nicht Mann oder Frau. Mann und Frau zusammen sind ihm nur ähnlich. Ich männlich, du weiblich, Gott göttlich.

Wir sind in unserer christlichen Sozialisation etwas einseitig geprägt, weil wir alle im 20. Jahrhundert geboren sind und mit speziellen Bibelübersetzungen aufgewachsen sind. Bereits ein paar Jahrhunderte vor Christus begannen nämlich die Juden den Gottesnamen JHWH zu tabuisieren und in den Abschriften der Tora die Buchstaben von „Adonai“ (Herr) einzufügen um eine missbräuchliche Verwendung des Gottesnamens zu vermeiden.

Genauso wurde in vielen deutschen Bibelübersetzungen verfahren (z.B. bei Martin Luther).  Auch bei ihm wurde aus:

„Und Gott redete zu Mose und sprach zu ihm: Ich bin Jahwe. Ich bin Abraham, Isaak und Jakob erschienen als Gott, der Allmächtige; aber mit meinem Namen Jahwe habe ich mich ihnen nicht zu erkennen gegeben. (2. Mose 6, 2.3 Rev. Elb)

Bei Luther hieß es dann:

„Und Gott redete mit Mose und sprach zu ihm: Ich bin der HERR und bin erschienen Abraham, Isaak und Jakob als der allmächtige Gott, aber mit meinem Namen »HERR« habe ich mich ihnen nicht offenbart."

 
Und in der wortgetreuen Elberfelderübersetzung wurde bei der Revision die falsche Übertragung „Jehova“ , die durch eine Fehlinterpretation des in den Gottesnamen eingefügte Herr entstanden ist, ebenfalls an den meisten Stellen durch Herr ersetzt. D.h. der an sich geschlechtsneutrale Name Gottes wurde durch das männliche Herr ersetzt. Dadurch haben wir eine viel stärkere maskuline Vorstellung in unserem Gottesbild entwickelt, wie eigentlich im ursprünglichen Text vorhanden ist.

Trotzdem hat uns Jesus Gott als Vater - und damit doch maskulin - offenbart. Gott als unser nahbarer Vater ist ja eine der zentralen Offenbarungen des Neuen Bundes. Denn im AT war Gott - bis auf ganz wenige Bibelstellen (z.B. Jes. 66,13)- als Vater nicht bekannt. Dies ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass die Assoziation einer geschlechtlich-natürlichen Verbindung und Abstammung zwischen Gott und dem Menschen  - wie sie bei den umliegenden Völkern vorherrschend war - unter allen Umständen vermieden werden sollte.

Aber die zentrale Bedeutung der Vateroffenbarung Gottes durch Jesus ist ja nicht die Maskulinität Gottes, sondern die Nähe Gottes. Gott als persönliches Gegenüber. Und in dieser Beziehung ist Gott uns als Gegenüber wie Vater und wie Mutter.


2. Jesaja 66

Doch gehen wir noch einmal zur Jahreslosung zurück. Der Vers steht beim Propheten Jesaja. Jesaja ist wie Tolstoi und Dostojewski zusammen. Schwere Kost.
Das Buch Jesaja besteht aus zwei bis drei Abschnitten. In der Theologie spricht man sogar von drei Verfasser bzw. Verfassergruppen, vom Deutero- und Tritojesaja. Und es enthält neben den aktuellen Ermahnungen Gottes für das Volk Israel sehr, sehr viel Prophetie. Und diese prophetischen Äußerungen beziehen sich nicht nur auf die Zeit vor und nach dem Exil, sondern auch auf das erste Kommen Jesu (denken wir bspw. an das Weihnachtsevangelium aus Jesaja), auf seinen Tod (der Gottesknecht), auf das zweite Kommen, auf die Endzeit, auf die Zeit des neuen Himmels und der neuen Erde….. Und es ist meist sehr schwierig zu erkennen welche Zeit jetzt gemeint ist und manches passt dann auch gleich mehrmals.

Lesen wir ein paar Verse des Kontextes der Jahreslosung:

„Hört das Wort des HERRN, die ihr zittert vor seinem Wort! Es sagen eure Brüder, die euch hassen, die euch verstoßen meines Namens wegen: Der HERR erweise sich herrlich, dass wir auf eure Freude sehen können! Aber sie werden zuschanden werden. Schall eines Getöses von der Stadt her! Schall aus dem Tempel! Schall vom HERRN, der Vergeltung übt an seinen Feinden! Ehe sie Wehen hatte, hat sie geboren; ehe Geburtsschmerzen sie ankamen, wurde sie von einem Knaben entbunden. Wer hat so etwas je gehört, wer hat dergleichen je gesehen? Wird ein Land an einem einzigen Tag zur Welt gebracht oder eine Nation mit einem Mal geboren? Denn Zion bekam Wehen und gebar auch schon seine Söhne. Sollte ich zum Durchbruch bringen und dann nicht gebären lassen?, spricht der HERR. Oder sollte ich gebären lassen und dabei den Schoß verschließen?, spricht dein Gott. Freut euch mit Jerusalem und jubelt über sie, alle, die ihr sie liebt! Jauchzt mit ihr in Freude, alle, die ihr über sie getrauert habt! Damit ihr saugt und euch sättigt an der Brust ihrer Tröstungen, damit ihr schlürft und euch labt an der Fülle ihrer Herrlichkeit. Denn so spricht der HERR: Siehe, ich wende ihr Frieden zu wie einen Strom und die Herrlichkeit der Nationen wie einen überflutenden Bach. Und ihr werdet saugen. Auf den Armen werdet ihr getragen und auf den Knien geliebkost werden. Wie einen, den seine Mutter tröstet, so will ich euch trösten. An Jerusalem sollt ihr getröstet werden. Ihr werdet es sehen, und euer Herz wird sich freuen, und eure Gebeine werden sprossen wie das junge Gras. Und die Hand des HERRN wird sich an seinen Knechten zeigen, aber seine Feinde wird er bedrohen.“ (Jes. 66, 5-14 Rev. Elb.)

Im Zusammenhang wird deutlich, dies ist eine Prophetie für die Rückkehr nach Israel aus der assyrischen Gefangenschaft….nein, für die Gründung des Staates Israel 1948….oder doch vielmehr für das Leben des Volk Israels im neuen Friedensreich, denn ein paar Verse weiter vorne heißt es ja:

„Denn siehe, ich schaffe einen neuen Himmel und eine neue Erde. Und an das Frühere wird man nicht mehr denken, und es wird nicht mehr in den Sinn kommen.“ (Jes. 65,17 Rev. Elb.)

Oder vielleicht für alles zusammen. Biblische Prophetie ist nicht einfach. Ihr kennt ja sicherlich das Bild vom Blick von einem Gipfel zu den anderen Gipfeln. Der Prophet sieht einen Bergkamm in der Ferne und erkennt nicht, dass es verschiedene Gipfel sind, die auch noch durch Täler voneinander getrennt sind.

Aber eines machen doch diese prophetischen Bilder und die verschiedenen Möglichkeiten der Auslegung dieser Bibelstelle deutlich: eigentlich geht es hier eindeutig um Israel. Um den Trost, den sie durch die Rückkehr nach Jerusalem erfahren. Das Erleben der Rückkehr in das geliebte Jerusalem ist wie der Trost einer Mutter. Und das heißt für Israel ja auch die Rückkehr in die Gegenwart Gottes, denn wo der Tempel war, da war Gott.
Es geht hier erstmal nicht um uns Christen, es geht hier erstmal nicht um den Trost, den wir in verschiedenen Lebenssituationen vielleicht benötigen, sondern es geht um Trost für Israel durch das Heimkommen in die Gegenwart Gottes.


3. Trost für uns

Ja, hat dies jetzt alles überhaupt keine Bedeutung für uns? Und warum dann diese Jahreslosung?

Nun, ich weiß nicht nach welchen Kriterien die von der Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft Bibeltexte aus ihrem Zusammenhang reißen. Für meinen persönlichen Umgang mit der Bibel ist es schon etwas grenzwertig. Zumindest ein Hinweis auf den Textzusammenhang wäre hilfreich.

Aber das Wesen Gottes, dass sich in dieser Bibelstelle offenbart, das ist natürlich allgemeingültig. Und natürlich kann Gott darüberhinaus auch durch jeden Vers persönlich zu einer Person sprechen.

Also, Gott als ein Gott des Trostes. Das hat natürlich Bedeutung für die Christenheit und für uns persönlich.

Und zwar in mehrfacher Hinsicht:

Erstens: Der Trost für Israel ist ein Trost durch die Veränderung des Blickwinkels. Durch das Schauen auf die Zukunft. Auf das kommende Friedensreich (Jes. 55, 17-24). Ein Leben im Schalom. Im Wohlstand und Gesundheit. Kein vergebliches Mühen, kein früher Tod. Ein hohes Alter wie das Alter der Bäume. Keine Säuglingssterblichkeit. Kein Leid, kein Geschrei. Nichts Böses geschieht. Gottes Nähe. Wolf und Lamm, Löwe und Rind weiden zusammen usw. Dieses Bild einer wunderbaren Zukunft ist nicht nur ein Trost für Israel, es ist natürlich auch ein Trost für uns. Auch wir haben Teil am 1000jährigen Friedensreich. Auch wenn es der Menschheit global betrachtet noch nie so gut ging wie gegenwärtig: die geringste Armut, die höchste Bildung, die wenigsten Kriegstoten im Vergleich zu allen vorherigen Jahrhunderten, gibt es doch trotzdem noch viel Leid, von dem wir weg auf diese Zukunftsvision schauen können. 


„Wenn keine Offenbarung da ist, verwildert ein Volk; aber wohl ihm, wenn es das Gesetz beachtet!“ (Spr. 29,18 Rev. Elb.)  

Wir brauchen immer wieder auch den väterlichen Trost (vgl. Kap. 1), die Offenbarung der Zukunft, die uns hilft unsere Blickrichtung zu verändern vom Jetzt auf das Kommende. Denn das Beste kommt noch!

Zweitens: Jesus bietet seinen Trost an. Sein Leben und Wirken ist den Leidenden, den Kranken, den Gebundenen, den Bedrückten, den Verlorenen zugerichtet. Er sieht die Not und greift ein. Und er spricht uns zu:  


„Kommt her zu mir, alle ihr Mühseligen und Beladenen! Und ich werde euch Ruhe geben.“ (Mt. 11,28 Rev. Elb.) 

Dieser Vers ist gerade an die gerichtet, die seelisch am Boden sind, weil sie erleben den Anforderungen nicht gerecht zu werden. Damals waren es wohl in erster Linie religiöse Anforderungen, religiöser Druck, das Gesetz mit seinen Überlieferungen. Heute ist es gesellschaftlicher Druck, im Arbeitsleben, aber auch religiöser Druck. Wieviele werden von der Gemeinde verheizt? Oder wieviele bringen sich selber unter Verdammnis, weil sie den eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden? 
Als ich Gott während meiner Sabbatzeit fragte, ob etwas zwischen mir und ihm steht, hatte ich während eines Gottesdienstes die Erkenntnis: „Es steht nichts zwischen Gott und mir. Nur ich steh zwischen mir und mir.“ Es sind die eigenen Anforderungen an die eigene Person, die uns oft blockieren und unter Druck setzen. Für die Aufräumarbeiten zwischen Gott und uns hat Jesus bereits gesorgt. 

Ich hatte Ende letzten Jahres so den Eindruck - da kannte ich die Jahreslosung noch nicht - 2016 könnte ein Jahr sein, wo wir speziell den verwundeten Seelen dienen. Vielleicht wird Gott Euch mit so Menschen in Kontakt bringen. Dann ladet sie einfach mal ein privat oder in den Hauskreis oder …einfach in unsere Gemeinschaft. Die tut oft schon alleine gut. Ich hatte auf jeden Fall seitdem schon einen Kontakt in dieser Richtung. Wir können dadurch für andere zum Trost werden. So wie Barnabas (= Sohn des Trostes, Apg. 4,36).

Und drittens ist es für uns von Bedeutung, weil Jesus unser Trost so wichtig ist, dass er uns den Heiligen Geist geschickt hat. Johannes bezeichnet ihn als den Tröster.  


„Aber der Tröster, der Heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.“ (Joh. 14,26 Rev. Elb.)  

Aber das ist ein eigenes Thema, dass ich hier jetzt nicht mehr aufgreifen möchte. Übrigens das hebr. Wort für Geist „ruach“ ist wieder weiblich.

Im Trost Gottes erfahren wir zugleich väterlichen und mütterlichen Trost. Wir erfahren die Nähe Gottes und die Veränderung des Blickwinkels, im Schauen auf die Zukunft. Gott gibt uns beides.

„Nahe ist der HERR denen, die zerbrochenen Herzens sind.“ (Ps. 34,19a Rev. Elb.)

Das deutsche Wort für Trost ist abgeleitet von dem althochdeutschen Wort „Tröst“ und bedeutet so viel wie treu und innerliche Festigkeit. Darum geht es letztlich, dass wir neu innerliche Stärke, Zuversicht und Festigkeit bekommen.

Deshalb ist es Paulus und den anderen Schreibern im NT auch so wichtig, dass wir uns immer wieder gegenseitig ermahnen, ermutigen, ermuntern, aufbauen, stärken, Gemeinschaft haben usw. (1. Kor. 14,3, Kol. 3,16, Phil. 2,1, 1. Thes. 5,11, Hebr. 3,13 etc.)

Auch das gemeinsame Feiern des Abendmahls soll dazu dienen.

Schließen möchte ich mit einem Vers, der speziell für uns gilt:

„Es gibt über euch so viel Gutes zu berichten: Ihr ermutigt euch als Christen gegenseitig und seid zu liebevollem Trost bereit. Man spürt bei euch etwas von der Gemeinschaft, die der Geist Gottes bewirkt, und herzliche, mitfühlende Liebe verbindet euch.“ (Phil. 2,1 HfA)

AMEN.