Sonntag, 9. Dezember 2018

Predigt von Norbert Wohlrab (09.12.18)

Die kanaanäische Frau

Ich möchte heute mit Euch einen Text betrachten, über den ich neulich gestolpert bin. Und zwar die Begegnung von Jesus mit der kanaanäischen Frau, von der uns bei Matthäus und bei Markus berichtet wird.

„21 Und Jesus ging weg von dort und entwich in die Gegend von Tyrus und Sidon.
22 Und siehe, eine kanaanäische Frau kam aus diesem Gebiet und schrie: Ach, Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Meine Tochter wird von einem bösen Geist übel geplagt….
28 Da antwortete Jesus und sprach zu ihr: Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst! Und ihre Tochter wurde gesund zu derselben Stunde.“ (Mt. 15, 21-28 Luther)
 


So kennen wir Jesus. Er heilt und befreit und begegnet den Nöten der Menschen. Aber den Bibelkennern unter uns ist vielleicht etwas aufgefallen?
Genau, hier fehlt der Mittelteil des Abschnittes. Da passiert nämlich noch etwas dazwischen. Der Mittelteil lautet nämlich. (Meine Tochter wird von einem bösen Geist übel geplagt….)

„23 Er aber antwortete ihr kein Wort. Da traten seine Jünger zu ihm, baten ihn und sprachen: Lass sie doch gehen, denn sie schreit uns nach.
24 Er antwortete aber und sprach: Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.
25 Sie aber kam und fiel vor ihm nieder und sprach: Herr, hilf mir!
26 Aber er antwortete und sprach: Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde.
27 Sie sprach: Ja, Herr; aber doch essen die Hunde von den Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen.“
 


Äh, Moment, so kennen wir Jesus eigentlich nicht. Jesus sagt doch: „wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen“ (Joh. 6,37). Und jetzt hier, dieses schroffe Ignorieren und Abweisen dieser leidenden Frau?!

Den Jüngern ging es hier wohl so ähnlich, wie wenn man auf einer Party jmd. vorstellt, den man meint sehr gut zu kennen und dann verhält sich der auf einmal völlig anders.

Aber schauen wir uns die Begebenheit mal der Reihe nach an.
Jesus war in Galiläa unterwegs. Er speiste die Fünftausend, rettete Petrus aus Seenot, heilte viele Menschen in Genezareth und setzte sich mit Pharisäern und Schriftgelehrten auseinander. Und dann wollte er ihnen entkommen und „entwich in die Gegend von Tyrus und Sidon“.
Im Paralleltext bei Markus steht: „Und er ging in ein Haus und wollte es niemanden wissen lassen“ (Mk. 7,24).

Die Beweggründe sind nicht ganz klar. Aber auf jeden Fall hat sich Jesus zurückgezogen. Von Galiläa rund 60 - 90 km nach Tyrus und Sidon. 2-3 Tagesmärsche. Nur er mit seinen Jüngern. Es scheint, als wollte Jesus einfach seine Ruhe. Vielleicht dem Massenandrang entkommen. Vielleicht sich der Verfolgung entziehen. Vielleicht einfach auftanken. Einfach Ruhe. Das versteh ich. Ich will im Urlaub auch keinen Trubel um mich rum.

Keine Juden, keine Pharisäer, keine Schriftgelehrten. Keine Menschen die was von ihm wollten und auch keine Menschen die ihn etwas Böses tun wollten. Niemand, der sich für ihn interessiert hat, denn Tyrus und Sidon sind zwei Städte in Syro-Phönizien, dem heutigen Libanon, weit außerhalb des jüdischen Staatsgebietes, tief im Heidenland.
Kurz vorher hatte er den Pharisäern noch klar gemacht, dass nicht das Äußerliche den Menschen verunreinigt. Er hatte keine Berührungsängste mit den Heiden.

Jesus hatte sich also eine Art von Urlaub, eine Art Auszeit genommen. Aber das mit der Ruhe hat nicht ganz geklappt, denn er „konnte doch nicht verborgen bleiben“ (Mk. 7,24) heißt es. Auch im Ausland hatte man schon von seinen Wundertaten gehört.

Dann kommt eben diese kanaanäische Frau zu ihm. Markus beschreibt sie als „Griechin aus Syrophönizien“ (Mk. 7,26), deren Tochter dämonisiert ist.
Kanaan ist die alte Bezeichnung für die Region, Syro-Phönizien die gegenwärtige, also kein Widerspruch. Aber Griechin? Das bedeutet wohl die Zugehörigkeit zur hellenistischen Kultur der Oberschicht in dieser Region. Tyrus und Sidon waren reiche Handelsstädte, hellenistisch und multireligiöse geprägte Städte.

Die Frau spricht Jesus an als Sohn Davids. Und Jesus reagiert erstmal gar nicht. Er sagt nichts. Kein Wort. Das schmerzt richtig beim Lesen.
Die Jünger sind schon genervt von ihrem Geschrei und bitten ihn, dass er etwas macht. Und dann erklärt Jesus - eigentlich den Jüngern - seine Haltung. „Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.“

Jesus hatte eine klare Mission von seinem Vater bekommen. Er war der Messias Israels. Ja, er war der Sohn Davids. Aber diese Frau war keine Tochter Davids. Sie war eine Heidin.
Er war zu den verlorenen Schafen Israels gesandt. Zum Volk Israel. Er sollte die loskaufen, die unter dem Gesetz waren (Gal. 4,4). Gott ist zunächst „nur“ der Gott Israels, nicht der Gott anderer Völker.

Es gab natürlich von Anfang an den Plan, dass dies nicht das Endziel ist. Zu Abraham sagte Gott: „und in dir und in deiner Nachkommenschaft sollen gesegnet werden alle Geschlechter der Erde“ (1. Mose 28,14 Rev. Elb.) und es gab Verheißungen im AT, dass die Schranke zu den Heiden einmal weggerissen werden wird. Aber das war zu dieser Zeit noch Zukunftsmusik.

„Geht nicht den Weg zu den Heiden und zieht nicht in eine Stadt der Samariter“ (Mt. 10,5 Luther), sagte Jesus, als er die Zwölf vorher ausgesandt hatte. Die Schranke zu den Heiden war noch nicht niedergerissen. Das geschah ja erst am Kreuz.
Jesus war also nicht auf Missionsreise in Syro-Phönizien unterwegs, wie später die Apostel. Die Frau kam zur falschen Zeit aus einer falschen Nation. Sie kam einfach heilgeschichtlich betrachtet zu früh. Sie hätte sozusagen auf Paulus warten müssen.

Aber sie lässt nicht locker. Jesus hat ja auch nicht gesagt, dass er nichts tun wird. Er hat nur den Jüngern sein Verhalten erklärt.

„Herr, hilf mir!“ sagt sie. Und dann kommt diese barsche Antwort:
„Doch er erwiderte: »Es ist nicht recht, den Kindern das Brot zu nehmen und es den Hündlein hinzuwerfen.«“ (Mt. 15, 26 Menge)

Uff! Harter Tobak.

Bei Markus heißt es noch etwas anders:

„Lass zuvor die Kinder satt werden; denn es ist nicht recht, dass man den Kindern das Brot nehme und werfe es vor die Hunde“ (Mk. 7,27)

Markus fügt hier noch da Wort „zuvor“ ein. Damit werden die anderen nicht gänzlich ausgeschlossen, sondern nur hinten angestellt. Markus schrieb sein Evangelium ja auch für die Heiden und Matthäus dagegen für die Juden.

Dieser Satz ist jetzt eigentlich mehrdeutig:
Zunächst Hunde ist die hebräische Bezeichnung für die Heiden, auch wenn Jesus hier abgemildert Hündchen sagt. Und Jesus ist das Brot des Lebens (Joh. 6,48) und ist zuerst zu den Kindern Israels gesandt. Zunächst sollen die Kinder Israels satt werden. Ihr geistlicher Hunger und Durst soll gestillt werden, ihre Erlösung soll bewirkt werden. Dies ist eigentlich eine Wiederholung der Erklärung, die Jesus den Jüngern gegeben hat, nur mit anderen Worten.

Aber dieser Satz hat auch noch eine andere Dimension. Eine sozialkritische Dimension. Tyrus und Sidon waren -  wie bereist erwähnt - reiche Handelsstädte. Die tyrische Währung war eine der härtesten Währungen des Altertums, so wie die DM bspw.
Wegen des gebirgigen Hinterlands konnte dort aber nur wenig Landwirtschaft betrieben werden - im Gegensatz zu Galiläa. Und so importierte Tyrus schon zu Zeiten Salomons Getreide und weitere Lebensmittel aus Israel (1. Kön. 5, 22-25; Hes. 27,17; Apg. 12,20) und eben auch damals in neutestamentlicher Zeit. Was zur Folge hatte, dass die arme Bevölkerung Galiläas Hunger leiden musste.

Und so könnte Brot in diesem Vers auch ganz wörtlich als Brot zu verstehen sein.

„Lass zuerst die armen Leute im jüdischen Hinterland satt werden. Denn es ist nicht gut, das Brot der armen Leute zu nehmen und es den reichen Heiden in den Städten hinzuwerfen.“ (Gerd Theißen)

Damit wäre dies ein Gerichtswort gegen die Ausbeutung der Armen in guter prophetischer Tradition, wie wir es von den Propheten des AT kennen.

Welche der beiden Interpretationen auch die richtige sein mag oder ob beide gleichzeitig richtig sind. Die Frau hat verstanden. Sie rechtfertigt sich nicht, wie man es so gerne tut: „Oh Herr, die Umstände….und ich kann doch nichts dafür….und die anderen….und du weißt doch….man muss doch sehen, wo man bleibt….es sind schwierige Zeiten….und die Steuern“, sondern sie sagt einfach: „Ja, Herr“. Sie stimmt zu. Sie stimmt mit Jesus überein:

Ja, ich bin keine Israelitin.
Ja, ich habe keinen Anspruch an Dich.
Ja, Du bist nur zum Volk Israel gesandt.
Und vielleicht auch: Ja, wegen uns müssen die Galiläer hungern.

Sie stimmt mit Jesus überein. Die Bibel nennt das Bekennen. Mit Gott einer Meinung sein.
Und demütig sagt sie dann: Ja, aber für die Hunde fällt doch auch ein bisschen was ab bei Tisch. Ein paar Krümel. Und die gewährt man ihnen.

Ein bisschen Segen, ein bisschen Gnade, ein bisschen vom Brot des Lebens muss doch auch für mich Heiden-Hündchen übrig bleiben.

Und Jesus gewährt ihr daraufhin ihre Bitte, heilt ihre Tochter und lobt ihren großen Glauben.
Interessant ist, dass er dies nur bei zwei Menschen tut. Bei ihr und bei dem Hauptmann von Kapernaum, der für seinen kranken Diener bittet (Mt. 8, 5-13). Ebenfalls ein Heide.

Was hat sich geändert? Oder hat sich überhaupt etwas geändert?

Die Bibel erklärt ja bspw., dass Jesus bis zu seinen letzten Stunden durch sein Leiden Gehorsam lernen musste (Hebr. 5,8). Hat Jesus hier umgelernt? Nein, ich denke nicht. Oder hat die Frau ihn überredet? Das wäre so die feministische Interpretation dieser Stelle. Nein, das denke ich auch nicht.

Jesus hat ja nie gesagt, dass er ihr nicht helfen wird, Er hat nur erklärt, dass er zuerst zum Volk Israel geschickt ist. Ich denke, dass es von Anfang an in Gottes Willen war, dass er hier eingreift. Vielleicht ist Jesus auch durch die Leitung seines Vaters extra dorthin gegangen um dieser Frau zu begegnen. Wir wissen es nicht.

Aber es wird trotzdem etwas deutlich, nämlich dass das Einreißen der Mauer zu den Heiden bevorsteht. Insofern hat diese Begegnung mit der syro-phönizischen Frau eine symbolische und auch prophetische Bedeutung. Es dauert ja auch nicht mehr lange dann werden die Jünger ausgesandt nach Samaria und an die Enden der Erde zu allen Völkern.

Die Begegnung mit der syro-phönizischen Frau ist eingebettet in die zwei Wunder der Brotvermehrung. Beim ersten mal blieben 12 Körbe übrig. Das ist jetzt ein bisschen was für die Numerologen. 12 Körbe für die 12 Stämme Israels. Überfließende Gnade für Israel.
Beim zweiten blieben 7 Körbe übrig. 7 ist die Zahl für das umfassende Wirken an der ganzen Schöpfung. Überfließende Gnade für die Welt. Ich weiß nicht ob das wirklich so ist, aber es ist zumindest mal ganz interessant.

Gut, aber was kann uns dieser Text heute sagen? Was können wir von dieser Frau lernen? Wir haben den Bibeltext jetzt verstanden, aber was sagt er uns heute?

Martin Luther hat die Frau als Mutter des Glaubens bezeichnet. Eine Frau die nichts hat, außer ihren Glauben an Jesus. Sie weiß, dass sie keinen Anspruch hat und nichts zu bieten hat. Sie weiß, dass sie sündig ist.
Wenn wir heute Jesus bitten, dann tun wir das zwar als Gerechtfertigte, aber trotzdem als schwache, unvollkommene, sündige Menschen, die nichts zu bieten haben. In Demut können wir sagen: „Ja Herr, ich bin schwach, ich habe nichts, ich brauche Dein Eingreifen.“

Die Frau bleibt bei Jesus. Sie lässt sich weder von seinem Schweigen irritieren, noch von seiner Belehrung. Sie bleibt da. Sie harrt aus. Sie bleibt in seiner Gegenwart. Wenn wir beten und keine Antwort erhalten, ist das nicht automatisch ein Nein.

Das NT ist voll von Beispielen und Aufforderungen, in denen das nachhaltige Bitten belohnt wird und auch erwartet wird. Z. B. bei der bittenden Witwe beim ungerechten Richter oder bei dem Freund, der um Mitternacht klopft. Beiden wird wegen ihrer Hartnäckigkeit und Unverschämtheit gegeben. Gott will aus Güte geben.

Könnte es sein, dass wir oft zu schnell aufgeben? Dass wir denken, Gott will unser Bitten nicht erhören, nur weil es noch nicht geschehen ist?

Von der Frau können wir lernen im Glauben an der Sache dranzubleiben, weiter zu bitten, nicht aufzugeben, nicht nachzulassen, beharrlich zu sein.

Betet allezeit, betet ohne Unterlass, mit aller Beharrlichkeit etc. So können wir es oft lesen im NT.

Weder die Frau, noch der Hauptmann von Kapernaum baten für sich selbst, sondern für ihnen nahestehende Menschen.
Wer sind unsere nahestehenden Menschen, die unsere Fürbitte nötig haben? Familie, Freunde, Nachbarn. Oft haben sie gar keinen anderen Beter, außer uns (wenn man nicht gerade in so Ballungszentren mit lauter Christen wohnt). Wenn wir dann nicht beten, betet vielleicht gar keiner. Und wie schnell wird man müde und zermürbt und bequem, wenn es sich über Jahre und Jahrzehnte hinzieht und nichts geschieht.

Im AT können wir an vielen Beispielen lernen weiter zu beten oder mit Gott weiter zu reden, wenn er schweigt.

„Steh auf, HERR! Gott, erhebe deine Hand! Vergiss die Elenden nicht!“ (Ps. 10,12 Luther)

Die Psalmen sind dabei wunderbare Beispiele dafür anhaltend im Gebet zu bleiben.

Eine Frage, die sich stellt, ist: Ist Beten Gott überreden? Ist Beten eine Art von Gott weichklopfen?
Man könnte jetzt ganz einfach sagen: Du bekommst nicht, was nicht Gottes Wille ist. Aber die Geschichte Israels zeigt, dass Gott seinem Volk öfters Dinge gegeben hat, die sie wollten, auch wenn sie nicht in seinem Willen waren. Z.B. Fleisch in der Wüste zusätzlich zum Manna (4. Mo. 11),  das östliche Gebiet am Jordan für zweieinhalb Stämme, die nicht über den Jordan ziehen wollten (4. Mo. 32), einen König (1. Sam. 8). Mit meistens negativem Ausgang. Also es gibt Beispiele wo Gott überredet werden konnte. Trotzdem denke ich, dass dies nicht das ntl. Regelprinzip von Gebet und Fürbitte ist.

Gebet und Fürbitte bewegt sich in den Parametern zwischen:
Ihr habt nicht, weil ihr nicht bittet (Jak. 4,2) und Euer Vater weiß was ihr braucht bevor ihr ihn bittet (Mt. 6,8);
zwischen den Willen Gottes vom Himmel auf die Erde bringen (charismatisch-pfingstkirchliches Verständnis) und „Abhängen“ mit Gott. Aus irgendwelchen Gründen hat sich Gott von unserem Beten abhängig gemacht. Und wir tun es viel zu wenig.

AMEN.

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