Mittwoch, 16. November 2022

Predigt von Norbert Wohlrab (13.11.2022)

Das Gleichnis vom Richter und der Witwe

Für die heutige Predigt greife ich wieder auf den offiziellen Predigttextes des Kirchenjahres zurück. Und zwar steht er diesmal in Lukas 18, 1-8: das Gleichnis vom Richter und der Witwe.

Es ist ein uns relativ bekanntes Gleichnis. Ein kurzes Gleichnis. Ein Gleichnis mit eigentlich klaren Aussagen und doch ein paar unklaren Elementen. Ein Gleichnis, dass manche Nuancen enthält, die man auf den ersten Blick überliest und ich muss zugeben, manches davon habe ist mir jetzt auch erst beim Vorbereiten dieser Predigt aufgefallen.

Lesen wir es erst einmal zusammen:

„1 Er sagte ihnen aber auch ein Gleichnis dafür, dass sie allezeit beten und nicht ermatten sollten,
2 und sprach: Es war ein Richter in einer Stadt, der Gott nicht fürchtete und vor keinem Menschen sich scheute.
3 Es war aber eine Witwe in jener Stadt; und sie kam zu ihm und sprach: Schaffe mir Recht gegenüber meinem Widersacher!
4 Und eine Zeit lang wollte er nicht; danach aber sprach er bei sich selbst: Wenn ich auch Gott nicht fürchte und vor keinem Menschen mich scheue,
5 so will ich doch, weil diese Witwe mir Mühe macht, ihr Recht verschaffen, damit sie nicht am Ende kommt und handgreiflich wird.
6 Der Herr aber sprach: Hört, was der ungerechte Richter sagt!
7 Gott aber, sollte er das Recht seiner Auserwählten nicht ausführen, die Tag und Nacht zu ihm schreien, und sollte er es bei ihnen lange hinziehen?
8 Ich sage euch, dass er ihr Recht ohne Verzug ausführen wird. Doch wird wohl der Sohn des Menschen, wenn er kommt, den Glauben finden auf der Erde?“
(Lk. 18, 1 - 8 ELB)


Der Anfang ist ja schon einmal ganz klar. Die Zielsetzung dieses Gleichnisses ist es, die Jünger zum anhaltenden Beten zu ermutigen. Sie sollen - also wir sollen - „allezeit beten und darin nicht nachlassen“ (EÜ), „beständig…beten und nicht auf(zu)geben“ (NLB) oder „unablässig beten…ohne sich entmutigen zu lassen“ (NGÜ). So heißt es in den verschiedenen Bibelübersetzungen. Dieser Vers ist quasi wie eine Überschrift und gleichzeitig auch die Hauptaussage dieser Verse.

Dann lesen wir zunächst von einem Richter. Wie war das damals in Israel mit den Richtern? Im 5. Buch Mose 16, 18-20 lesen wir:

„Richter und Aufseher sollst du dir einsetzen in allen deinen Toren, die der HERR, dein Gott, dir nach deinen Stämmen gibt, damit sie das Volk richten mit gerechtem Gericht. Du sollst das Recht nicht beugen, du sollst die Person nicht ansehen und kein Bestechungsgeschenk nehmen. Denn das Bestechungsgeschenk macht die Augen der Weisen blind und verdreht die Sache der Gerechten. Der Gerechtigkeit ⟨und nur⟩ der Gerechtigkeit sollst du nachjagen, damit du lebst und das Land in Besitz nimmst, das der HERR, dein Gott, dir gibt. (ELB)“

Es waren also in allen Städten (Toren) Richter eingesetzt um Rechtsstreitigkeiten zu regeln und zwar sollten sie dies tun
  • ohne das Recht zu beugen,
  • ohne Ansehen der Person und
  • ohne Bestechungsgeschenke zu nehmen.
Sie sollten vielmehr der Gerechtigkeit nachjagen.

Anders jedoch unser Richter hier in dem Gleichnis. Ihm waren die Maßstäbe der Bibel egal, ihm war Gott egal und die Menschen waren ihm auch egal. Er fragte nicht nach Gott und nahm auf keinen Menschen Rücksicht. Ihm war es egal, was andere über ihn sagten. Er kümmerte sich nicht um Recht und Unrecht. Seine Empathie ging gegen Null. Er dachte nur an seine eigenen Interessen.

Das war wohl nicht der Normalzustand des Rechtswesens zur damaligen Zeit, sondern vermutlich eher eine Ausnahme. Aber Jesus bedient sich in diesem Gleichnis dieser Ausnahme.

Dann haben wir in dieser Stadt auch eine Witwe, der scheinbar Unrecht geschehen ist. Sie kommt zu dem Richter und will ihr Recht: „Verhilf mir in der Auseinandersetzung mit meinem Gegner zu meinem Recht!“ (V. 3 NGÜ)

Dazu müssen wir uns vor Augen halten, dass eine Witwe zu dieser Zeit eine schutz- und wehrlose Frau war, die keinen natürlichen Beschützer mehr hatte. Ohne Mann, ohne Haupt hatte sie niemanden mehr, der sie versorgte und sie verteidigte. V.a. wenn sie noch keine erwachsenen Söhne hatte.

Deshalb gebührt den Witwen und zwei anderen Gruppen, die ähnlich benachteiligt waren, nämlich den Waisen und den Fremdlingen, ganz besonders der Schutz Gottes.

„Den Fremden sollst du weder unterdrücken noch bedrängen, denn Fremde seid ihr im Land Ägypten gewesen. Keine Witwe oder Waise dürft ihr bedrücken. Falls du sie in irgendeiner Weise bedrückst, dann werde ich, wenn sie wirklich zu mir schreien ⟨muss⟩, ihr Geschrei gewiss erhören, und mein Zorn wird entbrennen, und ich werde euch mit dem Schwert umbringen, sodass eure Frauen Witwen und eure Kinder Waisen werden.“ (5. Mose 22, 20 - 23 ELB)

Gott stellt sich hier als Rächer der Unterdrückten dar. „Wenn Du die Witwe bedrückst dann mach ich Deine Frau zur Witwe und Deine Kinder zu Waisen!“ Das ist schon mal eine starke Drohung.

Eine Witwe war also in einer prekären Lebenssituation und hatte nur wenige rechtliche Möglichkeiten, dem abzuhelfen. Es gab ein paar Schutzvorschriften:
  • wenn sie noch kinderlos war, hatte sie das Recht der Schwagerehe (5. Mose 25, 5-10) (so war sie wieder versorgt und die Schmach der Kinderlosigkeit konnte getilgt werden)
  • man durfte sie nicht übervorteilen und es gab eine Art Pfändungsfreigrenze (5. Mose 24,17) (man durfte ihr bspw. das Kleid nicht pfänden)
  • sie hatte bei bestimmten religiösen Festen Anspruch auf den Zehnten oder Teilnahme an den Mahlzeiten (5. Mose 14,28; 16, 11.14) (bspw. Beim Wochen- und beim Laubhüttenfest; Ereignisse in größeren Abständen, Zehnten alle drei Jahre) und
  • sie hatte das Recht der Nachlese bei der Ernte (5. Mose, 24, 19 - 22).

Als dies war im Gesetz geregelt. Aber ich denke mir, dass dies vermutlich trotzdem nicht besonders viel war.
Wie oft im Jahr wurde geerntet?
Wie oft im Jahr konnte sie sich am Tisch beim Laubhüttenfest oder Wochenfest satt essen?
Viele Witwen waren vermutlich auf weitere Almosen angewiesen. Deshalb haben sich auch die jungen christlichen Gemeinden ganz besonders der Witwen angenommen.

Aus so einer Situation heraus kommt jetzt unsere Witwe und ihr wurde Unrecht angetan. 

Vielleicht verweigerte ihr der Schwager die Ehe?
Vielleicht hinderte ein Bauer sie an der Nachlese?
Vielleicht wollte ein Gläubiger ihr ihre Kleidung pfänden?
Vielleicht wurde sie auch nur bei einem Handel übervorteilt?
Wir wissen es nicht. Es war ein Unrecht und nur der Richter kann ihr zu ihrem Recht verhelfen. Aber er tut nichts.

Aber unsere Witwe ist penetrant. Sie hat Ausdauer. Sie kommt immer und immer und immer wieder und irgendwann hat der Richter die Schnauze voll und hat Angst vor ihr geschlagen zu werden - sie war wohl besonders energisch im Auftreten - und gibt endlich nach und verhilft ihr zu ihrem Recht. Nicht weil er auf einmal der Gerechtigkeit nachjagt, sondern weil er einfach kein blaues Auge will.

Und dann sagt Jesus: Hört was der ungerechte Richter sagt! Schaut auf den ungerechten Richter! Der ungerechte Richter verschafft Recht!

Aber Jesus sagt jetzt nicht: so ist Gott! Niemals hat dieses Gleichnis die Intention Gott mit einem ungerechten Richter zu vergleichen, der genötigt werden muss um Recht zu sprechen. Der Richter ist vielmehr das Gegenteil von Gott, die Antipode sozusagen. Schaut auf den Richter, denn so ist Gott eben nicht. „Gott aber“ sagt Jesus, „wie viel mehr wird Gott“ im Gegensatz zu diesem Richter….

Was eigentlich? Was wird Gott? Geht es um Gebetserhörungen? Da erleben wir manchmal etwas anderes. Und jetzt muss man dieses Gleichnis genau lesen.

„Ich sage euch, dass er ihr Recht ohne Verzug ausführen wird. “ (V. 8 ELB)

Es heißt „ihr Recht“! Es geht hier wieder ums Recht! Die Witwe hat ihr Recht gefordert. Was ist denn unser Recht? Haben wir ein Recht auf die Erhörung all unserer Gebete, die Erfüllung all unserer Wünsche, ein schönes Leben in Kraft und Gesundheit, die Verwirklichung unseres Glückes? (Das gilt nur für Amerikaner.) Um all das dürfen wir beten, aber in diesem Gleichnis geht es um unser Recht. Die Zusage der schnellen Umsetzung bezieht sich auf unser Recht! Was ist denn unser Recht?

„Da wir nun gerechtfertigt worden sind aus Glauben, so haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus“ (Röm. 5,1 ELB)

und weiter

„die er aber gerechtfertigt hat, diese hat er auch verherrlicht.“ (Röm. 8,30 ELB)

Das ist unser Recht: unsere Erlösung! Durch das vollkommen Opfer Jesu haben wir jetzt ein Recht auf unser Heil! Die Gnade Gottes wurde am Kreuz zu einem mit Blut geschriebenen Bund, der unauflösbar ist. Das ist unser Recht!

„Rechtmäßig um Jesu willen - steht uns die Gnade Gottes zu und der Trost, der mit dieser Gnade verbunden ist.
Rechtmäßig um Jesu willen - steht uns Gottes Vergebung zu und der Frieden, der mit dieser Vergebung verbunden ist.
Rechtmäßig um Jesu willen - steht uns das ewige Leben zu und die Hoffnung, die damit verbunden ist.“ (Pfr. Rainer Trischmann)


Es geht also um unser Recht auf Herrlichkeit, auf Ewigkeit, auf Erlösung, auf Heil durch das Wirken Jesu.

Aber es wird noch konkreter. Es gibt nämlich noch einen ganz bestimmten Vorgang auf den hier Bezug genommen wird. Bei genauer Analyse dieses Textes entfremdet er sich mehr und mehr von dem, was man darin oberflächlich betrachtet vermutet. Es geht hier nämlich um das Geschehen bei der Wiederkunft Christi:

„Doch wenn der Menschensohn wiederkommt“ (V. 8 NLB)

heißt es am Ende dieses Abschnitts. Das allein ist noch nicht so aussagekräftig, aber wenn wir uns den Kontext anschauen, stellen wir fest, dass Jesus direkt davor den Jüngern das Geschehen bei der Wiederkunft schildert. Er erklärt ihnen auf was sie vorbereitet sein müssen. Und er spricht davon, dass dieses Geschehen blitzartig sein wird.

„Denn wie der Blitz aufleuchtet und den Himmel von einem Ende zum anderen erhellt, so wird es an dem Tag sein, an dem der Menschensohn kommt“ (Lk. 24,17 NGÜ)

Dieses Gleichnis ist also thematisch eingebettet in Reden über die Wiederkunft Christi.

Und wenn man das jetzt weiß, dass es

  • um das Recht auf Heil und Erlösung und
  • um die Wiederkunft Christi geht,

dann bekommen die Verse 7 und 8 eine etwas andere Richtung.

„Gott aber, wird er nicht seinen Auserwählten Recht schaffen, die Tag und Nacht zu ihm rufen, wenn er auch lange zuwartet mit ihnen? Ich sage euch: Er wird ihnen schnell Recht schaffen!“ (V.7.8a SLT)

Gott wartet bis er das Recht der Auserwählten offenbar werden lässt. Er wartet immer noch. Schon 2000 Jahre. Aber wenn dieser Tag anbricht, dann wird es schnell gehen, unverzüglich, in Eile, wie der Blitz.
Diese Aussage über das sehr schnelle Handeln und Recht schaffen bezieht sich nicht auf die Gesamtdauer (2000), sondern auf den Vorgang des Handelns am Tag des Herrn (Blitz).
Und dann kommt die Abschlussfrage dieses Abschnitts:

„Doch wenn der Sohn des Menschen kommt, wird er auch den Glauben finden auf Erden?“ (V. 8b SLT)

Hier steht nicht einfach Glauben finden, sondern wird er „den Glauben finden“ oder „solch einen Glauben finden.“

Es geht um eine ganz besondere Art von Glauben. Hier müssen wir uns den Anfang und das Ende dieser Rede als Klammer vorstellen. Es geht um einen Glauben, der unermüdlich betet, beständig betet, ein Schreien zu Gott Tag und Nacht!

Und um was soll gebetet werden? Die Auserwählten haben auf die Wiederkunft Jesu gewartet, sie haben darauf gewartet erlöst zu werden von dem Bösen in dieser Welt, von der Verfolgung und Bedrückung, sie haben darauf gewartet in das Reich des Herrn versetzt zu werden. Das Gebet um das es hier geht, heißt kurz ausgedrückt „Dein Reich komme“.

Wird Jesus, wenn er wiederkommt diese Art von Glauben vorfinden in Deutschland, in Fürth, in der CGF, bei den Wohlrabs? Findet er hier Gläubige, die beten: „Herr, wann kommst Du? Wann kommst Du endlich? Lass Deine Herrschaft und Herrlichkeit sichtbar werden in dieser Welt. Herr, komme  bald!“

Ich glaube ehrlich gesagt, er wird nicht viele finden. Weil es uns einfach viel zu gut geht, weil wir in vielen Bereichen gesegnet sind, weil wir uns des Lebens und unserer Lieben freuen und ja auch danach streben das Reich Gottes in unserem Leben umzusetzen.

Wir halten keine Ausschau nach seiner Wiederkunft und beten nicht darum. Wir wünschen uns eines Tages alt und lebenssatt zu sterben und dann irgendwann in den Himmel oder die neue Erde kommen. Oder? Ist es nicht so?

Ist das falsch? Nun ich glaube nicht. Unser Leben ist ein Geschenk Gottes und das Ziel eines jeden Lebens ist es ja mit Gott zu leben, seine Werke zu tun, nach seinem Willen zu leben.

Wenn ich bete „Dein Reich komme“ denke ich daran, dass sich sein Reich mehr und mehr in mir und durch mich und um mich verwirklicht, dass ich dazu beitrage es Gestalt werden zu lassen. So spricht ja auch Jesus - gerade im Kapitel vorher - dass das Reich Gottes mitten unter uns ist (Lk. 17,21).

Ich will jetzt aber diese Spannung nicht auflösen und den Text seine Dramaturgie nehmen.

Trotzdem ist es wichtig, dass wir nicht nur das gegenwärtige Reich Gottes, sondern auch das kommende Reich Gottes im Blick haben, erstreben, erbeten, nicht nur den Christus in uns Gestalt werden lassen, sondern auch den wiederkommenden Christus erwarten. Ich denke, nur so können wir gleichzeitig „in dieser Welt, aber nicht von dieser Welt“ leben. Es ist manchmal eine Korrektur nötig, wenn man im Sattel zu sehr auf einer Seite runter rutscht.

Ich komme zum Schluss. Zusammenfassend lehrt uns dieses Gleichnis drei Dinge:

  1. die allgemein gültige Aussage ist: anhaltend zu beten und nicht nachzulassen. Das ist immer richtig und gilt für alle Belange.
  2. speziell für das kommende Reich Gottes zu beten, das Ewige nicht aus dem Fokus zu verlieren oder wieder in den Fokus zu bekommen (Advent ist hier vielleicht eine thematische Hilfe) und
  3. hat es auch eine sozialkritische Dimension. Vielleicht hat Jesus bewusst eine Frau in prekären Verhältnissen ausgesucht. Wir können uns daher fragen: Wo sind Benachteiligte in unserer Gesellschaft oder praktischer in meinem privaten Lebensumfeld, für die ich eintreten kann?


AMEN.

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