1. Warnung vor Ehrsucht
Für den heutigen Sonntag habe ich ein Gleichnis herausgesucht, das man meistens nur wenig beachtet und über das auch eher selten gepredigt wird. Vermutlich einfach deshalb, weil die zentralen Aussagen so einfach und klar sind. Es handelt sich um das Gleichnis von den Plätzen bei einem Festmahl.
„1 Und es begab sich, als er am Sabbat in das Haus eines Obersten der Pharisäer ging, um zu speisen, da beobachteten sie ihn.
2 Und siehe, da war ein wassersüchtiger Mensch vor ihm.
3 Und Jesus ergriff das Wort und redete zu den Gesetzesgelehrten und Pharisäern, indem er sprach: Ist es erlaubt, am Sabbat zu heilen?
4 Sie aber schwiegen. Da rührte er ihn an, machte ihn gesund und entließ ihn.
5 Und er begann und sprach zu ihnen: Wer von euch, wenn ihm sein Esel oder Ochse in den Brunnen fällt, wird ihn nicht sogleich herausziehen am Tag des Sabbats?
6 Und sie konnten ihm nichts dagegen antworten.
7 Er sagte aber zu den Gästen ein Gleichnis, da er bemerkte, wie sie sich die ersten Plätze aussuchten, und sprach zu ihnen:
8 Wenn du von jemand zur Hochzeit eingeladen bist, so setze dich nicht auf den obersten Platz, damit nicht etwa ein Vornehmerer als du von ihm eingeladen ist,
9 und nun der, der dich und ihn eingeladen hat, kommt und zu dir sagt: Mache diesem Platz! — und du dann beschämt den letzten Platz einnehmen musst.
10 Sondern wenn du eingeladen bist, so geh hin und setze dich auf den letzten Platz, damit der, welcher dich eingeladen hat, wenn er kommt, zu dir spricht: Freund, rücke hinauf! Dann wirst du Ehre haben vor denen, die mit dir zu Tisch sitzen.
11 Denn jeder, der sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.
12 Er sagte aber auch zu dem, der ihn eingeladen hatte: Wenn du ein Mittags- oder Abendmahl machst, so lade nicht deine Freunde, noch deine Brüder, noch deine Verwandten, noch reiche Nachbarn ein, damit nicht etwa auch sie dich wieder einladen und dir vergolten wird;
13 sondern wenn du ein Gastmahl machst, so lade Arme, Krüppel, Lahme, Blinde ein,
14 so wirst du glückselig sein; denn weil sie es dir nicht vergelten können, wird es dir vergolten werden bei der Auferstehung der Gerechten.“
(Lk. 14, 1-14 Schlachter 2000)
Wir finden verschiedene Hochzeitsgleichnisse in der Bibel, die meist einen Bezug auf Jesus als Bräutigam haben. Dies hier ist etwas anders ausgerichtet, hat einen etwas anderen Schwerpunkt. Zunächst die Frage nach dem Kontext.
Jesus war mit seinen Anhängern auf Wanderschaft. Er hat gelehrt und geheilt. Der Konflikt mit den Pharisäern war noch nicht auf seinem Höhepunkt angekommen. Er wurde von den Pharisäern jedoch kritisch gemustert und beobachtet. Würde er etwas tun, dass dem Gesetz oder ihren Gebräuchen widerspricht?
Dann wurde er an einem Sabbat von einem Obersten der Pharisäer, vermutlich einem Hohenpriester oder Synagogenvorsteher, zu einem Festmahl eingeladen. Er nahm die Einladung an und wurde genau beobachtet (V. 1) und - schwups - auf einmal stand ein Wassersüchtiger vor ihm (V. 2). Ein schwerkranker Mensch mit Ödemen, möglicherweise wegen einer Herz- oder Niereninsuffizienz.
Was würde Jesus tun? Am Sabbat heilen, also medizinische Arbeit leisten?
Es ging nicht darum, dass ein Wunder notwendig war um diesen Mann gesund zu machen, da es mit den damaligen medizinischen Möglichkeiten keine Heilung gegeben hat, sondern es ging darum, dass in ihren Augen Heilen Arbeit ist und damit am Sabbat verboten sein muss. Jesus fragt sie: Ist es erlaubt? Bekommt keine Antwort und heilt ihm und schraubt damit den Konflikt mit den Pharisäern eine Stufe höher, weil er dadurch ihr religiöses System, ihre religiösen Überzeugungen in Frage stellt.
Weiter fragt er sie, ob sie nicht auch am Sabbat ihren Sohn (in anderen Texten heißt es Esel) oder Ochsen retten würden, wenn er am Sabbat in einem Brunnen fällt (5. Mose 22,4)? Auch hierauf erhält er keine Antwort. Wieder eine Stufe höher. Das ist der Zusammenhang. Nun beginnt das Mahl. Das war bestimmt eine interessante Atmosphäre, wenn man vom Anfang an mit dem Gastgeber in einem Konflikt war. Das ist der Punkt, wo ich mir wahrscheinlich gedacht hätte, okay, ich geh dann mal wieder, gibt es halt kein Festessen. Aber nicht so Jesus.
Nun beginnt ein munteres Treiben. Zur damaligen Zeit und in der damaligen Kultur hatte Gastfreundschaft einen besonders hohen Stellenwert. Aber der ursprüngliche Auftrag für Reisende und Bedürftige zu sorgen, wurde pervertiert.
Wenn man ein Gastmahl gegeben hat, ging es jetzt zum einen darum das Ansehen des Gastgebers zu vergrößern, dadurch dass er durch das Auftragen erlesener und reichhaltiger Speisen, seinen Reichtum zur Schau stellen konnte und zum anderen ging es auch den Eingeladenen darum, ihr Ansehen zu vergrößern, indem sie die Ehrenplätze beim Festmahl beanspruchten. Und diese waren rechts und links des Gastgebers.
Jetzt versuchten die Geladenen - ähnlich wie bei der Reise nach Jerusalem - durch geschicktes Manövrieren, Ablenken („Schau mal diese wunderbaren Oliven!“ „Hast Du schon diesen herrlichen Braten gesehen?“ „Schau mal dieser wunderbare Wandteppich“), Taktieren, Drehen und Wenden, jedoch ohne dies zu offensiv, offensichtlich oder gar aggressiv anzugehen, das wäre verpönt gewesen - die Ehrenplätze zu ergattern. Dies alle beobachtete Jesus.
Nun konnte es aber passieren, dass der Gastgeber, der in der Regel als letztes erschien, ganz andere Personen für die Ehrenplätze vorgesehen hatte und dann wurden die beiden, die es nach oben geschafft hatten, auf die hintersten Plätze geschickt und statt vor allen anderen geehrt zu werden, wurden sie nun vor allen anderen gedemütigt.
„Denn jeder, der sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.“ (V. 11)
Jesus kritisiert dieses Treiben, dieses Streben nach Ehre und Anerkennung, sowohl der Geladenen als auch des Gastgebers, denn auch der Gastgeber strebt ja danach. Daher der Hinweis, dass er die einladen soll, die ihm die Einladung nicht vergelten können, die sich nicht bei ihm revanchieren können.
Es gibt ein eindeutiges christliches Verhalten, wie Jesus es an dieser Stelle einfordert und wie wir es in vielen anderen Stellen des Neuen Testaments nachlesen können: Strebt nicht nach Ehre und Anerkennung. Seid bescheiden. Seid demütig!
Vielleicht ist uns ja so ein Streben nach den besten Plätzen wie in dem Gleichnis geschildert ohnehin fremd. Ich bin ja eher so der „peinliche“ Typ, also ich meine mir ist es eher unangenehm irgendwo hervorgehoben zu werden. Ich fühle mich in den hintersten Reihen mit etwas Distanz, Ruhe und Überblick ohnehin viel wohler. Ich wäre nicht gefährdet nach den Ehrenplätzen zu streben. Vielleicht geht es dem einen oder anderen ja genauso, aber es gibt vermutlich noch mehr Lebensbereiche wo uns unsere Ehre wichtig ist wird und wir nicht so leicht damit klarkommen zurückgesetzt zu werden.
Aber wie ist es, wenn wir zu einer Feier einladen? Laden wir dann nicht automatisch unsere Freunde, Familie und Nachbarn ein?
Sicher es ist nicht ganz dasselbe, wir feiern nicht um zu protzen und anzugeben, sondern wegen der Geselligkeit, weil wir Zeit mit den Menschen verbringen wollen, die wir lieben. Aber ein bisschen ähnlich ist es schon, wir laden nicht die ein, mit denen wir keine Zeit verbringen wollen, mit denen wir gar nichts zu tun haben wollen. Und ehrlich, wenn ich mir vorstellen würde, ich sollte bspw. die Bewohner der Heilsarmee einladen, dann würde ich lieber gar nicht mehr feiern.
Aber dennoch, muss es auch für mich, für uns praktikable Möglichkeiten geben dieser Anregung zumindest annähernd zu folgen. Sagen wir mal hier bleibt noch Luft nach oben.
2. Demut - die Gesinung eines Dienenden
Der offizielle Predigtext des heutigen Sonntags steht im 1. Petr. 5, 5b - 11. Dort heißt es ähnlich:
„Alle aber miteinander bekleidet euch mit Demut; denn Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade. So demütigt euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, damit er euch erhöhe zu seiner Zeit.“ (1. Petr. 5, 5b.6 Luther)
Da haben wir das gleiche Thema: Demut. Demut heißt auf Lateinisch „Humilitas“, das hat wohl etwas mit Humus zu tun: Erde, Erdboden. Demut hat also etwas mit Bodenständigkeit, Erdverbundenheit zu tun, nicht abgehoben zu sein, sich seiner Begrenztheit und seiner Vergänglichkeit bewusst zu sein.
Petrus schreibt hier davon, dass sich alle mit Demut bekleiden sollen, gürten sollen, sie anziehen sollen, so wie ein Sklave seinen Schurz angelegt hat, der ihn für seinen Dienst vorbereitet hat und ihn von einem freien Mann unterscheidet. Nicht nur die Jüngeren sollen gegenüber den Älteren demütig sein, sondern alle einander. Petrus verwendet dieses Wort nur hier.
Demütig sein, heißt für Petrus, sich selbst zum Sklaven zu machen, zum Diener zu machen. Das ist auch genau das, was das althochdeutsche Wort „Diomuot“ (zusammengesetzt aus Dienen und Mut bzw. Gesinnung) beschreibt: die Gesinnung eines Dienenden einzunehmen, aber nicht erzwungen sondern freiwillig, so wie es Jesus getan hat.
„Habt diese Gesinnung in euch, die auch in Christus Jesus war, der in Gestalt Gottes war und es nicht für einen Raub hielt, Gott gleich zu sein. Aber er machte sich selbst zu nichts und nahm Knechtsgestalt an, indem er den Menschen gleich geworden ist, und der Gestalt nach wie ein Mensch befunden, erniedrigte er sich selbst und wurde gehorsam bis zum Tod, ja, zum Tod am Kreuz.“ (Phil. 2, 5-8 Rev. Elb.)
Jesus hat es vorgemacht und wir sollen seine Nachahmer sein. Wir müssen nicht wie er ans Kreuz. Aber unser Leben soll gekennzeichnet sein, von der Gesinnung eines Dienenden.
Der Spiegel hat vor ein paar Jahren mal verschiedene Prominente befragt, was sie unter Demut verstehen. Matthias Sammer hat darauf geantwortet:
„Demut bedeutet für mich: Respektvoll zu sein. Gegenüber allen Menschen, egal welchen Alters, welcher Herkunft, Bildung und sozialer Stellung. Vor allem aber auch vor der eigenen Bedeutung. Wir sind alle nur Bestandteil einer großen Geschichte, das sollte jedem bewusst sein, egal wer er ist.“
Eine ganz gute Antwort, wie ich finde. Wir sind alle nur Humus. Aus Erde gemacht und wir gehen zur Erde zurück. Wir sind alle Gottes Geschöpfe, die einen tragen während ihrer Zeit auf Erden etwas mehr, die anderen etwas weniger Lametta.
Helen Nielsen (amerikaniche TV-Autorin) hat mal gesagt:
„Demut ist wie Unterwäsche - unerlässlich, aber unziehmlich, wenn sie durchscheint.“
(Stimmt heutzutage nicht mehr so ganz.)
Und noch ein bisschen Luther:
„Die wahren Demütigen sehen nicht auf den Lohn und die Folgen der Demut ... und haben keine Ahnung, dass sie demütig sind... Daher kommt's dann, dass ihnen die Ehre allezeit unerwartet widerfährt und ihre Erhöhung unvermutet kommt; denn sie haben sich einfältig an ihrem geringen Wesen begnügt und nie nach Höhe gestrebt. Die falschen Demütigen aber wundern sich, dass ihre Ehre und Erhöhung so lange ausbleibt, und ihr heimlicher falscher Hochmut fühlt sich gar nicht wohl in seinem geringen Stand, sondern denkt nur immer höher und höher.“
3. Demut contra Selbstbewusstsein?
Wir wissen alle, das Gegenteil von Demut ist Hochmut.
Hochmütig zu sein heißt bspw.:
- stolz zu seineine große Hybris zu haben, ein großes Ego zu haben
sich etwas darauf einzubilden, auf das was man ist, hat oder kann - sich für besser, höher stehender, wertvoller, wichtiger als andere zu halten
- keine Korrektur mehr nötig zu haben
- es sowieso besser zu wissen usw.
- auf andere herabzusehen, sie zu richten
Aber wie ist es mit Selbstbewusstsein? Heißt demütig zu sein auch jegliches Selbstbewusstsein abzulegen?
Ich überspitze jetzt mal etwas:
Mut haben kann eigentlich nur der Ängstliche. Jemand der keine Angst vor einer Situation hat, kann auch nicht mutig sein. Er braucht sich ja nicht zu überwinden.
Ein Diener, ein Sklave oder Knecht kann sich selbst nicht demütigen. Jemand der gezwungen ist zu dienen, kann nicht so einfach aus sich selbst heraus demütig sein, weil er sich nicht frei dafür entscheiden kann, die Haltung eines Dienenden einzunehmen.
Ich darf mir daher meinem Selbst bewusst sein, meinen Stärken, meinen Fähigkeiten usw. durchaus bewusst sein und entscheide mich gerade aus dieser Stärke heraus, den anderen höher als mich selbst zu achten.
„Tut nichts aus Selbstsucht oder nichtigem Ehrgeiz, sondern in Demut achte einer den anderen höher als sich selbst.“ (Phil. 2,3 Schlachter 2000)
Es geht nicht darum als Wurm durchs Leben zu gehen. Auch nicht als erlöster Wurm. Ich bin ein Kind Gottes. Gerechtfertigt und erlöst, begnadigt und begabt, auserwählt und berufen usw. Und außerdem vielleicht auch noch eine gute Ärztin, ein guter Ingenieur, eine gute Erzieherin, ein guter Techniker usw. Dessen allen darf ich mir bewusst sein, aber trotzdem oder gerade deshalb entscheide ich mich die Gesinnung eines Dienenden einzunehmen. Ist das ein Widerspruch? Nein, ich denke nicht.
Es gibt in der Philosophie das Konzept der Schwestertugenden. Erstmals formuliert von Aristoteles und später für die Psychologie weiter entwickelt und bekannt geworden unter dem Wertequadrat.(Paul Hellwig, Friedemann Schulz v. Thun). Es geht dabei darum, das jede Tugend zur Übertreibung werden kann und daher ein Gegengewicht (eine Schwestertugend) als Korrektiv benötigt. Aus Sparsamkeit kann bspw. Geiz werden. Daher benötigt die Sparsamkeit die Freigiebigkeit (die Übertreibung der Freigiebigkeit wäre Verschwendungssucht). In dieser Balance kann sich die Tugend dann entfalten, so Aristoteles.
Die Schwestertugend von Demut ist Selbstbewusstsein. Ohne Selbstbewusstsein, kann die Demut zur Unterwürfigkeit werden; ohne Demut, kann aus dem Selbstbewusstsein Hochmut oder Arroganz werden.
Finden wir das in der Bibel? Nein, nicht unter diesen Namen. Aber am Beispiel vieler Personen: im AT David und im NT v.a. Paulus. Gerade bei ihm wechseln immer wieder Stellen, wo er sich seiner Begrenztheit, seines Mangels, seiner Schwäche bewusst ist und sich dann wieder seiner Autorität, seiner Stellung, seiner Position bewusst ist und diese auch betont und in Anspruch nimmt. Demut und Selbstbewusstsein sind kein Widerspruch, sondern eine notwendige Ergänzung.
Mangelt es mir an Selbstbewusstsein, dann sollte ich mehr erkennen, aus welchen Grenzen heraus mich Gott bestimmt hat.
Mangelt es mir an Demut, dann sollte ich mehr erkennen, in welche Grenzen hinein mich Gott bestimmt hat.
4. Schluss
Petrus schreibt den Empfängern, dass sie sich unter die gewaltige Hand Gottes demütigen sollen. Manchmal heißt demütig sein, einfach auch nur Gott gegenüber den richtigen Platz - Gott ist Gott, ich bin Mensch - einzunehmen.
AMEN.
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