Samstag, 2. Mai 2015

Predigt von Norbert Wohlrab (Ostern, 05.04.15)

Maria Magdalena


Ich möchte Euch am Anfang eine kurze Geschichte erzählen:

Während des 2. Weltkrieges half in Malaysia ein freundlicher Malaie einem geflüchteten Kriegsgefangenen den Weg zur Küste und von dort aus in die Freiheit zu finden.
Die beiden Männer stolperten durch fast undurchdringlichen Dschungel. Weder ein Pfad noch überhaupt irgendeine Spur menschlichen Lebens war zu erkennen.
Der Soldat fragte seinen Helfer erschöpft: „Weißt Du genau, dass dies der richtige Weg ist?“
Die Antwort kam in gebrochenem Englisch: „Nein, nein….hier kein Weg….ich bin der Weg.“
Ich bin der Weg! Es gab keinen ausgehauenen Pfad, keine Spur, keine Fährte. Der Soldat hatte nur die einzige Möglichkeit, wenn er in die Freiheit wollte, diesen Mann zu folgen, der von sich sagte, dass er der Weg ist.

Heute vor fast 2000 Jahren haben die Jünger erst mal langsam angefangen zu begreifen, was die vielen Ich-Worte, die Jesus zu ihnen während seines dreijährigen Wirkens gesprochen hatte, für Bedeutung haben: Ich bin das Licht der Welt. Ich bin das Brot des Lebens. Ich bin die Tür usw. Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Ich bin die Auferstehung und das Leben.

Ich möchte, dass wir uns heute am Ostersonntag mal ganz bewusst eine der bedeutendsten Frauen der Bibel anschauen: Maria Magdalena oder Maria aus Magdala, die so intensiv mit dem Geschehen an Ostern verknüpft ist. Sie war die erste, die dem Auferstandenen begegnet ist.

„1 Am ersten Tag der neuen Woche, frühmorgens, als es noch dunkel war, ging Maria aus Magdala zum Grab. Sie sah, dass der Stein, mit dem man das Grab verschlossen hatte, nicht mehr vor dem Eingang war.
2 Da lief sie zu Simon Petrus und zu dem Jünger, den Jesus besonders lieb gehabt hatte, und berichtete ihnen: »Sie haben den Herrn aus dem Grab weggenommen, und wir wissen nicht, wohin sie ihn gebracht haben.«

11 Maria aber blieb draußen vor dem Grab stehen; sie weinte. Und während sie weinte, beugte sie sich vor, um ins Grab hineinzuschauen.
12 Da sah sie an der Stelle, wo der Leib Jesu gelegen hatte, zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, den einen am Kopfende und den anderen am Fußende.
13 »Warum weinst du, liebe Frau?«, fragten die Engel. Maria antwortete: »Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wohin sie ihn gebracht haben.«
14 Auf einmal stand Jesus hinter ihr. Sie drehte sich nach ihm um und sah ihn, erkannte ihn jedoch nicht.
15 »Warum weinst du, liebe Frau?«, fragte er sie. »Wen suchst du?« Maria dachte, es sei der Gärtner, und sagte zu ihm: »Herr, wenn du ihn weggebracht hast, sag mir bitte, wo du ihn hingelegt hast, dann hole ich ihn wieder.« –
16 »Maria!«, sagte Jesus. Da wandte sie sich um und rief: »Rabbuni!« (Das bedeutet »Meister«; Maria gebrauchte den hebräischen Ausdruck.)
17 Jesus sagte zu ihr: »Halte mich nicht fest! Ich bin noch nicht zum Vater in den Himmel zurückgekehrt. Geh zu meinen Brüdern und sag ihnen, dass ich zu ihm zurückkehre – zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott.«
18 Da ging Maria aus Magdala zu den Jüngern zurück. »Ich habe den Herrn gesehen!«, verkündete sie und erzählte ihnen, was er zu ihr gesagt hatte.“ (Joh. 20, 1.2.11-18 NGÜ)
 


Wir wissen nicht viel über Maria: Sie stammt aus Magdala, einem kleinen Ort am Westufer des See Genezareths. Sie trägt den damals sehr gebräuchlichen Namen Maria, die latinisierte Form des jüdischen Namen Mirjams.
Die Herleitung des Namens Mirjam ist unklar: Meeresmyrrhe, Widerspenstige, Fruchtbare sind mögliche Bedeutungen. Dass sie den Beinamen Magdala trägt, deutet daraufhin, dass sie unverheiratet gewesen ist (statt Frau des xy).

Außerhalb der Passionsgeschichte wird sie nur einmal in der Bibel erwähnt. Am Anfang der Wirkzeit Jesu lesen wir:

„1 In der nun folgenden Zeit zog Jesus von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf. Überall verkündete er die Botschaft vom Reich Gottes. Dabei begleiteten ihn die Zwölf
2 sowie einige Frauen, die von bösen Geistern und von Krankheiten ´geplagt gewesen waren und` durch ihn Heilung gefunden hatten: Maria aus Magdala, aus der er sieben Dämonen ausgetrieben hatte,
3 Johanna, die Frau des Chuzas, eines Beamten des Herodes, sowie Susanna und viele andere. Alle diese Frauen dienten Jesus und seinen Jüngern mit dem, was sie besaßen.“ (Lk. 8, 1-3 NGÜ)


Wir erfahren hier also, dass sie entweder dämonisiert gewesen ist und von Jesus befreit wurde oder von ihm geheilt wurde (oder sogar beides) und dass sie ihm seitdem nachfolgte. Auch Frauen gehörten zu den Jüngern Jesu. Zusammen bildeten sie eine große Familie, von denen Jesus in einem anderen Zusammenhang spricht:

„Denn wer den Willen meines Vaters im Himmel tut, der ist mein Bruder, meine Schwester und meine Mutter.“ (Mt. 12,50 NGÜ)

Die Frauen dienten ihnen und haben sie wohl auch materiell unterstützt, heißt es also. Sie haben sich v.a. um das Wohlergehen der ganzen Gesellschaft gekümmert hat. Eine geistlich betrachtet scheinbar unbedeutende Aufgabe, aber auch Jesus und seine Jünger müssen essen - und hungrige Männer sind bekanntlich keine angenehmen Zeitgenossen. Später bekommt Maria dann ja noch ihren großen Auftritt.

Mehr wissen wir eigentlich nicht über sie. In der mittelalterlichen katholischen Überlieferung wurde sie mit anderen Frauengestalten aus dem NT vermischt, mit anderen Marias, und mit der Sünderin (Prostituierte), die Jesus mit Öl salbte (Lk. 7), aber dazu finden wir keinen Hinweis im NT. Zumal es bei der erwähnten Salbung unwahrscheinlich wäre, nicht ihren Namen zu erwähnen, wenn er doch bekannt war.
Vermutlich ist dies auch aus politischen Gründen geschehen um sie zu diskreditieren, um sie geistlich klein zu reden und um so in einer patriarchalischen Gesellschaft Argumente zu haben um Frauen von öffentlichen Aufgaben fern zu halten.

Maria wird dann erst wieder bei der Kreuzigung erwähnt:
Sie ist dabei, als Jesus hingerichtet wird und stirbt (Mt. 27,56; Mk. 15,40; Joh. 19,25).
Sie ist dabei, als er ins Grab gelegt wird (Mt. 27,61; Mk. 15,47).
Sie ist dabei, als Salböl gekauft wird um seinen Leichnam zu salben (Mk. 16,1).
Bei diesen Geschehnissen wird ihr Name immer erwähnt. Sie ist immer dabei. Sie ist treu. Sie hat eine Treue, eine Liebe zu Jesus, die über seinen Tod hinaus geht.

Nun aber zurück zu dem Geschehen am Morgen der Auferstehung.

Bei den Juden fängt der neue Tag mit dem Abend an. Bei Sonnenuntergang. Maria ging also in der Nacht von Samstag (nach Sonnenuntergang) auf Sonntag (vor Sonnenaufgang) zum Grab. Bei Dunkelheit.
Es war nicht nur dunkle Nacht, alles war auch geistlich noch finster, noch unklar, noch verborgen. Und jetzt kommt sie zum Grab und stellt fest, dass der Stein weggerollt war. Dieser Stein, der auf Befehl von Herodes und der Schriftgelehrten hingeräumt wurde, damit der Leichnam nicht gestohlen werden konnte.

Im Judentum bedeutet Stein Tod, es ist der gleiche Wortstamm. Der Stein vor dem Grab bedeutet auch: sein Tod ist besiegelt, es gibt keinen Weg zurück.
Die Juden töteten durch Steinigung: Tod zum Tod.
Auf jüdischen Gräbern werden auch heute noch keine Blumen hinterlegt, sondern Steine. Tod zum Tod.
Das bedeutet man denkt an die Verstorbenen als Lebendige, in der Zeit als sie lebendig waren, nicht in der Zeit in der sie tot sind, im Totenreich sind.
Wenn jmd. stirbt, wird er sieben Tage betrauert, man spricht über sein Leben. Dann nimmt man Abschied. Die Steine besiegeln die Tatsache, dass er tot ist. Zum Totenreich darf keine Verbindung aufgebaut werden.

Auch das Bild von Jesus als dem Eckstein (Jes. 28,16; Eph. 2,20) des neuen Tempels, der Gemeinde kann so gedeutet werden. Erst durch den Tod Jesu war der Bau der Gemeinde möglich.

Der Tod Jesu war also besiegelt, Maria kommt zum Grab und nun war der Stein weg!

Maria fürchtet einen Diebstahl des Leichnams und rennt zu Petrus und Johannes. Die beiden wichtigsten Personen aus dem Kreis der Jünger. Es spiegelt aber auch das Prinzip der zwei Zeugen des jüdischen Rechtssystems wieder. Zwei Zeugen braucht man um etwas zu bestätigen. Zwei Zeugen bestätigen am Kreuz die Gottesohnschaft Jesu: ein verurteilter Verbrecher und ein römischer Hauptmann. Und zwei Zeugen werden jetzt auch das leere Grab bestätigen.

Ist das heilsgeschichtlich bedeutsam? Wohl eher nicht, aber im damaligen Kulturkreis hat es eine Rolle gespielt. Zumal die Aussage einer Frau damals ohnehin nichts gegolten hätte. Maria hätte behaupten können was sie wollte, es hätte keine Relevanz gehabt. Es musste erst von Männern bestätigt werden.

In der traditionellen jüdischen Familie war (ist?) es übrigens genau umgekehrt. Die Frauen hatten die Macht in der Familie. Dort hatte selbstverständlich die Frau/Mutter das letzte Wort. Der Mann durfte nur beraten. Sein Machtbereich war außerhalb des Hauses. Die Frau herrscht im Haus (vgl. „Ganz herrlich ist die Königstochter drinnen (= d.h. in den königlichen Gewändern) Ps. 45,14a Rev. Elb.).

Wie geht es weiter? Die Jünger sehen das leere Grab, bestätigen also den Vorfall und gehen wieder. Maria dagegen bleibt dort. Sie sucht immer noch den Leichnam Jesu. Sie steht dort vor dem Grab und weint. Dabei blickt sie in das offene Grab und sieht dort zwei Engel sitzen. Wieder zwei Zeugen. Diesmal aber himmlische Zeugen. Die Auferstehung ist ein überirdisches, ein himmlisches Ereignis, deshalb braucht es auch himmlische Zeugen.

„Warum weinst Du?“ fragen die Engel. Es gibt keinen Grund zum Weinen, aber Maria ist immer noch in der Dunkelheit. Sie versteht immer noch nicht. Sie erklärt den Engeln ihr Anliegen. Sie kommuniziert mit Engeln, als sei es das Normalste auf der Welt. Irgendwie befindet sie sich in einem emotionalen Ausnahmezustand. Und dann taucht Jesus auf und fragt sie wieder: „Warum weinst Du?“ Dreimal wird sie gefragt (2 Engel + 1 Jesus).

Ähnlich wie bei Petrus: „Liebst Du mich?“ fragt ihn Jesus. Bei Petrus ist jedoch eher sein Stolz und sein Versagen der Anlass für die Frage Jesu, bei Maria dagegen ist es ihre Trauer. In ihr will Jesus ihr begegnen, aus ihr will er sie abholen.

Maria erkennt ihn noch nicht. Sie hält ihn für den Gärtner. Sie will doch nur wissen, wo er Jesus hingebracht hat und ihm endlich salben zu können. Dazu war ja vor Beginn des Sabbats keine Zeit mehr gewesen. Sie will doch nur noch einmal bei ihm sein können. Bei ihm, den sie doch so vieles zu verdanken hat. Befreiung und Heilung. Bei ihm, der doch ihrem Leben Sinn und Orientierung gegeben hat.

„Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten.“ (Ps. 126,5 Luther)

Auch für Maria kommt jetzt die Zeit der Freude. Als Jesus sie mit ihrem Namen anspricht: „Maria“. Da erkennt sie ihn schließlich. „Rabbuni, Meister!“. In diesem persönlichen Ansprechen steckt ihr Erkennen.

Hier wird deutlich: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“ (Jes. 43,1 Luther)

In dem persönlichen angesprochen werden findet das Erkennen statt. So ist es ja auch bei der Bekehrung. So haben wir es erlebt. Wir haben erlebt, dass Jesus uns ganz persönlich anspricht.

„Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir.“ (Offb. 3,20 Luther)

Wir haben erlebt, dass das Evangelium uns persönlich gilt, zu uns persönlich spricht, dass Jesus uns ruft, dass er für uns gestorben ist, dass er der Herr ist.

Jesus sagt jetzt zu ihr: „Halte mich nicht fest!“ im Sinne von „Halte mich nicht auf!“ oder „Halte mich nicht länger fest.“ Es gibt verschiedene Auslegungen. Mir erscheint z. Zt. am naheliegendsten, dass Jesus zeitlich nicht länger festgehalten werden will, da er auch noch anderen erscheinen möchte. Vielleicht wollte Maria ihn in ihrer Freude ja gar nicht mehr los lassen.

Maria bekommt jetzt einen Spezialauftrag. Sie soll es den anderen Jüngern weitersagen. Sie ist jetzt im Auftrag des Herrn unterwegs. Sie ist die erste Person, die den Auferstandenen gesehen hat und ist die erste Person, die es verkünden darf: Jesus ist auferstanden! Christus ist auferstanden. „Ich habe den Herrn, (den Kyrios) gesehen.“ Maria wird damit zur ersten Verkünderin des Evangeliums.

Jesus ist Kyrios. Jesus ist Herr, Jesus ist Gott!
Wer dem Auferstanden begegnet ist, kann gar nicht davon schweigen.

Für die Jünger damals war dies noch eine viel größere gute Botschaft, als für uns heute, weil sie ja alles ganz nah miterlebt hatten: das Hoffen auf das kommende Reich, die Enttäuschung das alles so anders kam, die Hinrichtung, die Angst, die Trauer und jetzt die große Freude: Jesus lebt. Sie fangen jetzt langsam an zu begreifen.

Die Frage für uns heute ist: was können wir uns von dieser Maria aus Magdala abschauen? Was kann uns diese erste Zeugin der Auferstehung für unser Leben heute sagen?

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AMEN.

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