Dienstag, 27. Januar 2015

Predigt von Norbert Wohlrab zur Jahreslosung 2015 (25.01.2015)

Jahreslosung 2015


Heute wollen wir uns gemeinsam mal ein paar Gedanken zur Jahreslosung 2015 machen.

„Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob“ (Röm 15,7, Luther)

Eigentlich eine klare und verständliche Aussage: „Einander annehmen!“ Das ist schnell verstanden, leicht gesagt und doch oft schwer getan. Aber bevor wir anfangen unser Leben im Licht dieses Verses zu bespiegeln, wollen wir erst mal verstehen um was es Paulus hier eigentlich geht.

Der Vers stammt aus dem Brief an die Christen in Rom. Rom war eine Millionenstadt. Ein Schmelztiegel an Kulturen und religiösen Kulten. Menschen von ganz unterschiedlicher Herkunft lebten dort zusammen. Freie und Sklaven. Die gleiche ethnisch-kulturelle Vielfalt fand man auch in der christlichen Gemeinde. Nach dem für einige Jahre die Juden aus Rom vertrieben waren, waren sie mittlerweile wieder ansässig und so bestand die Gemeinde aus Heidenchristen und Judenchristen, die wahrscheinlich die Minderheit bildeten. Paulus kannte die Gemeinde noch nicht persönlich, aber er kannte einige ihrer Mitglieder, die er auf seinen Missionsreisen kennengelernt hat und teilweise sogar selbst nach Rom geschickt hatte.

Paulus legt in diesem Brief das Evangelium der Gnade dar, er spricht über die Befreiung von Sünde und Gesetz, erklärt die Bedeutung Israels im Heilsplan Gottes und geht zum Abschluss auf die Probleme im Miteinander zwischen den jüdischen und heidnischen Gläubigen und die drohende Spaltung ein.

Welches sind die Probleme?

Zunächst erinnert er sie noch einmal an verschiedene Grundprinzipien des christlichen Lebens und Zusammenlebens:

Stellt euer Leben Gott zur Verfügung! Das ist der wahre Gottesdienst! (Röm, 12,1)
Ihr seid ein Leib in Christus! (12,5)
Seid herzlich in der Bruderliebe! (12,10) Seid gleich gesinnt! (12,16)
Seid einander nur schuldig Euch zu lieben, so lebt Ihr nach dem Wesen des Gesetzes! (12,8)
Denkt daran, dass Jesus bald wieder kommt! Lebt entsprechend dem Wesen Jesu! (13,11-14)

Das waren so ein paar der allgemeinen Aussagen. Und dann kommt er auf ihren Konflikt zu sprechen. Letztlich geht es auch hier um den in vielen Gemeinden immer wieder auftretenden Konflikt zwischen Judenchristen und Heidenchristen über den richtigen heiligen Lebensstil in den Fragen des Essens und der Feiertage.

„Den Schwachen im Glauben aber nehmt auf, doch nicht zur Entscheidung zweifelhafter Fragen! Einer glaubt, er dürfe alles essen; der Schwache aber isst Gemüse. (Kraut, Luther 1545) Wer isst, verachte den nicht, der nicht isst; und wer nicht isst, richte den nicht, der isst! Denn Gott hat ihn aufgenommen. Wer bist du, der du den Hausknecht eines anderen richtest? Er steht oder fällt dem eigenen Herrn. Er wird aber aufrecht gehalten werden, denn der Herr vermag ihn aufrecht zu halten. Der eine hält einen Tag vor dem anderen, der andere aber hält jeden Tag gleich. Jeder aber sei in seinem eigenen Sinn völlig überzeugt! Wer den Tag beachtet, beachtet ihn dem Herrn. Und wer isst, isst dem Herrn, denn er sagt Gott Dank; und wer nicht isst, isst dem Herrn nicht und sagt Gott Dank. Denn keiner von uns lebt sich selbst, und keiner stirbt sich selbst. Denn sei es auch, dass wir leben, wir leben dem Herrn; und sei es, dass wir sterben, wir sterben dem Herrn. Und sei es nun, dass wir leben, sei es auch, dass wir sterben, wir sind des Herrn.“ (Röm. 14, 1- 8 Rev. Elb.)

Es ging um doch so scheinbar banale Fragen nach dem, was man essen und trinken darf und welcher Feiertag zu halten sei.  Die jüdisch geprägten Christen hatten da ganz andere Vorstellungen, als die aus dem heidnischen Lager. Für die einen musste das Essen koscher sein gemäß den jüdischen Speisevorschriften und Schweinefleisch ging natürlich gar nicht, die anderen hatten dagegen Probleme mit dem Götzenopferfleisch vom Wochenmarkt. Wiederum andere - die Starken - wussten, dass sie frei waren von jeglichen Gesetz und Götzen, und hatten überhaupt kein schlechtes Gewissen. Die konnten fröhlich sowohl Schweinefleisch, als auch Götzenopferfleisch essen.

Genauso beim Sabbat, die einen glaubten unbedingt den Sabbat halten zu müssen, die anderen gar keinen Feiertag.

Für die Konfliktparteien waren es keine banalen Fragen, für sie ging es um ihre innerste Überzeugung, um ihre theologische Erkenntnis, exklusiv mit ihrer Ansicht und dem diesbezüglichenLebensstil Gott zu ehren. Die anderen dagegen waren falsch gewickelt. Und deshalb hat jeder den anderen abgelehnt und gerichtet, das Gewissen des anderen gerichtet, die Freiheit des anderen gerichtet.

Und Paulus sagt ihnen dann: Leute, hört auf einander zu richten! Verachtet einander nicht! Das ist nicht Eure Aufgabe und dazu habt Ihr ohnehin kein Recht, weil Ihr nicht der Chef, der Herr des anderen seid! Jeder soll in diesen Fragen die Freiheit haben nach seinem Gewissen zu handeln. Schaut vielmehr darauf, dass Ihr einander keinen Anstoss gebt.

„Lasst uns nun nicht mehr einander richten, sondern haltet vielmehr das für recht, dem Bruder keinen Anstoß oder kein Ärgernis zu geben! Ich weiß und bin überzeugt in dem Herrn Jesus, dass nichts an sich unrein ist; nur dem, der etwas als gemein ansieht, dem ist es unrein. Denn wenn dein Bruder wegen einer Speise betrübt wird, so wandelst du nicht mehr nach der Liebe. “ (Röm. 14, 13 - 15a Rev. Elb.)

Für Gott ist zwar alles rein, aber wenn der jüdische Bruder keine Schweinefleisch essen kann, dann verzichtet man in seiner Gegenwart darauf und wenn der heidnische Bruder, kein Götzenopferfleisch essen kann, dann verzichtet man in seiner Gegenwart darauf, denn

„…das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude im Heiligen Geist.“ (Röm. 14,17 Rev. Elb.)

Nach diesem Maßstab sollen sie leben. Und die Starken sollen dabei die Schwachen tragen.

„Wir aber, die Starken, sind verpflichtet, die Schwachheiten der Kraftlosen zu tragen und nicht uns selbst zu gefallen.“ (Röm. 15,1 Rev. Elb.)
Die Starken waren die, die die christliche Freiheit im vollen Umfang erkannt haben. Die Schwachen diejenigen, deren Gewissen ihnen nicht alle Freiheiten ließ. Und wer stark ist, der ist dann auch in der Lage aus seiner Freiheit heraus freiwillig verzichten.

„Es ist gut, kein Fleisch zu essen noch Wein zu trinken noch etwas zu tun, woran dein Bruder sich stößt…Jeder von uns gefalle dem Nächsten zum Guten, zur Erbauung!“ (Röm. 14,21+15,2 Rev. Elb.)

Und am Ende dieser Erklärungen steht dann jetzt endlich der Vers der Jahreslosung als eine Art Fazit:

„Deshalb nehmt einander auf, wie auch der Christus euch aufgenommen hat, zu Gottes Herrlichkeit!“ (Röm. 15,7 Rev. Elb.)

Und Ihr habt gemerkt, der Vers klingt jetzt in der Elberfelderübersetzung ein bisschen anders. Hier heißt es nämlich aufnehmen. Wie aufnehmen? Wie jetzt? Geht es nicht um gegenseitige Annahme?

Das gr. Verb „proslambánō“ lässt sich zwar mit beidem übersetzen, aber ich bevorzuge das praktische „aufnehmen“ der Elberfelder-Übersetzung, weil damit deutlich wird, worum es eigentlich geht.
Es geht eben nicht nur um tolerieren, den anderen zu ertragen ohne ihn gleich zu erschlagen, sondern es geht um die ganzheitliche Aufnahme in die Gemeinschaft, in die Tischgemeinschaft, in den Kreis der verschiedenen Hausgemeinden und Gruppen, in die Abendmahlsgemeinschaft, in das gemeinschaftliche Essen und Feiern. Annehmen ist nur ein kleiner Teil davon. Aufnehmen ist ein viel intensiverer und intimerer Ausdruck von geschwisterlicher Liebe.

Genauso wie Christus Euch, wie er uns in seine Gemeinschaft aufgenommen hat. Christus akzeptiert uns nicht einfach als Sünder, sondern er nimmt uns auf in seine heilende, gerechtmachende und befreiende Gemeinschaft.

In der English Standard Version heißt dieser Vers so schön:

„welcome one another as Christ has welcomed you, for the glory of God.“

Und Christus hat uns nicht ins Nichts aufgenommen, sondern in „Gottes Herrlichkeit!“

Es geht hier meiner Meinung nach nämlich nicht darum, dass der richtige Umgang mit dem Bruder, das An- und Aufnehmen des Andersartigen zum Lob Gottes dient, obwohl das sicherlich nicht falsch ist, im Gegenteil das ist Ausdruck eines gottgefälligen Lebensstil, aber ich denke nicht das, was Paulus hier ausdrücken will.
Sondern es geht darum, dass Christus uns bereits zur Herrlichkeit Gottes oder zur Ehre Gottes oder zum Glanz Gottes (gr. „doxa“) aufgenommen hat.

Dieser Vers steht im Gegensatz zur Aussage vom Beginn des Briefes, wo Paulus darstellt:

„denn alle haben gesündigt und erlangen nicht die Herrlichkeit Gottes“, (Röm. 3,23 Rev. Elb.)
Kein Mensch ist zur Herrlichkeit Gottes gelangt hat, aber jetzt durch Christus sind wir aufgenommen zur Herrlichkeit Gottes, d.h. durch das perfekte Opfer Christi treten wir ein in seine Herrlichkeit und sein Glanz kommt auf uns.

Es ist noch nicht so physisch wahrnehmbar, wie bei der Verklärung Jesu (Mt. 17), als sein Angesicht glänzte oder bei Mose in der Stifthütte, als sein Gesicht die Herrlichkeit Gottes widerspiegelte (2. Mo. 34,35), aber trotzdem schon durch unser Leben spürbar, wenn Jesus Christus in uns lebt und sein Wesen in uns Gestalt annimmt.

Nach diesen jetzt eher theologischen Abhandlungen, stellt sich wieder mal die Frage, was hat dieser Vers mit uns im Jahre 2015 zu tun?

Wer sind heute die Schwachen? Wer sind heute die Konfliktparteien im Leib Christi? Was gibt es heute noch für Überzeugungen, für die Christen über Leichen gehen?

Wir leben hier in der CGF ja auf einer Insel der Glückseligen. Wir sind stark im Glauben und genießen viele Freiheiten, Wir haben vieles schon hinter uns. Wir sind so homogen, dass es vielleicht schon kontraproduktiv ist. Aber wenn ich im Internet mal so in verschiedenen Foren schaue, dann erschreck ich immer wieder wie viele unreife, engstirnige, besserwisserische und gesetzliche Christen da unterwegs sind, deren Hauptanliegen es zu sein scheint, andere zu belehren. Viele Kämpfe, die ich schon für ausgestorben hielt, werden da kultiviert.

Charismatiker gegen Evangelikale, Evangelikale gegen Liberale, Lutherische gegen Katholiken, Glaubenstäufer gegen Kindertäufer, militante Vegetarier/Veganer gegen Fleischesser, Konsumverweigerer gegen Konsumierer, TV-Verweigerer gegen TV-Glotzer, Gepiercte gegen Nicht-Gepiercte, Tätowierte gegen Nicht-Tätowierte, Radikalpazifisten gegen Berufssoldaten, Gesangbuchsänger gegen Lobpreisrocker, Weihnachtsverweigerer gegen Weihnachtszelebrierer, Abstinenzler gegen Alkoholtrinker, Gemeindebauer gegen Schäfchenklauer, Folie gegen Beamer…..oder Deutsch-Nationalisten gegen Ausländerfreundliche.

Das „Erschreckende“: Jesus hat alle an seinen Tisch geladen! Unglaublich. Er hat sie nicht nur angenommen, er hat sie aufgenommen in seine Gemeinschaft. Leute, mit denen wir normalerweise nichts zu tun hätten. Wir würden einfach getrennte Wege gehen. Solche Leute sind Teil seiner Gemeinschaft. Haben Teil an der Herrlichkeit Gottes. Solche Leute sollen auch wir aufnehmen, annehmen.

Gemeinde Jesu ist bunt. Sie ist vielfältig. Und war es schon immer: Arme und Reiche, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Juden und Araber, Europäer und Afrikaner, Deutsche und Türken, Frauen und Männer, Popfans und Chorsänger, nüchterne und emotionale, zurückhaltende und extrovertierte, spontane und besonnene Menschen…..

Gemeinde Jesu fordert uns heraus. Diese Vielfalt fordert uns heraus. Wie sonst sollten wir lieben lernen, Demut einüben, sich selbst verleugnen? In einer Interessengruppe, wo jeder auf der gleichen Welle liegt, braucht man sich nicht bemühen.

Die Jahreslosung soll für uns ein Ansporn, eine Erinnerung sein, die unangenehmen Geschwister in unsere Gemeinschaft, an unseren Tisch, an meinen Tisch zu holen. Sie willkommen zu heißen, so wie Jesus uns willkommen geheißen hat.

„Vater mach uns eins, dass die Welt erkennt, er hat den Sohn gesandt!“ (Liedtext)
AMEN.

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