Sonntag, 1. Dezember 2019

Predigt von Norbert Wohlrab (01.12.19)

 Freude am Herrn.mp3

Neh. 8,10 Die Freude am Herrn


Ich möchte heute über einen Vers aus dem Buch Nehemia sprechen.

(Es ist schon seltsam, dass ich bei Euch meistens über einen alt. Text predige, was ich sonst eigentlich eher selten mache. Hängt das irgendwie mit dem Namen zusammen? Als so eine Art Antikörperreaktion. Oder liegt es doch an Eurem Alter?
Man muss da ja vorsichtig sein, was man so sagt. Neulich im Büro, bei unserer morgendlichen Kaffeerunde - Sozialarbeiter - ist mir mein Schlüssel runter gefallen, und als ich ihn dann wieder aufgehoben habe, meinte eine junge Kollegin: „Na, das schaut ja nicht mehr so besonders geschmeidig aus.“ Zu mir kann man sowas ja sagen. Wir haben dann über Dehnübungen, Physiotherapie, Yoga usw. gesprochen und dann meinte eine ältere Kollegin, das sie da so ein bestimmtes Yoga macht, das sehr gut für ihren Rücken ist, ihr fällt bloß gerade der Name nicht ein. Ich meinte dann: „Yoga für Ältere.“ Daraufhin bekam ich nur ein Wort als Kommentar: „A…loch.“ Insofern, ich habe gelernt: man darf nicht immer alles sagen. Besonders nicht zu Frauen. Jetzt aber zu unserem Bibelvers.)

Ich mache es jetzt mal so wie den Herrenhuter. Ich reiße den Vers mal aus seinem Zusammenhang. Normal mache ich das ja nicht. Aber tun wir mal so, als hätten wir einen Losungsvers vor uns.

„darum seid nicht bekümmert, denn die Freude am HERRN ist eure Stärke!“ (Neh. 8,10 Schlachter)

Bevor wir uns dann später den Zusammenhang dieses Verses anschauen, lassen wir ihn erst mal ganz isoliert in verschiedenen Übersetzungen auf uns wirken.

„Und seid nicht bekümmert, denn die Freude am HERRN, sie ist eure Zuflucht!“
(Zürcher)

„Macht euch keine Sorgen, denn die Freude am Herrn umgibt euch wie eine schützende Mauer.“ (GN)

„Lasst den Mut nicht sinken, denn die Freude am HERRN gibt euch Kraft!“ (HfA)

„Seid nicht traurig, denn die Freude am Herrn ist eure Zuflucht!“ (NLB)

„Und seid nicht bekümmert, denn die Freude am HERRN, sie ist euer Schutz!“ (Rev. Elb.)

Und zu guter letzt:

„Macht euch keine Sorgen! Sich an Gott zu freuen ist wie eine Impfung gegen Frust!“  (Volxbibel)

Mach Dir keine Sorgen! Sei nicht bekümmert! Oder einfach gut fränkisch: Dou di ned oh!

Wir haben den Vers vor kurzem im Hauskreis gelesen und dann festgestellt, so als Ermutigung, als Zuspruch von Gott, tut das jetzt erst mal richtig gut: Sei nicht bekümmert! Mach Dir keine Sorgen! Erst mal durchatmen.

Aber trotzdem, das ist ja jetzt erstmal einfach gesagt. Sich nicht zu bekümmern, sich keine Sorgen zu machen, was ist, wenn es aber nun doch tatsächlichen Grund zur Sorge gibt?

Wenn man nicht weiß, wie die ganzen Rechnungen bezahlt werden können.
Wenn man nicht weiß, wie es gesundheitlich weiter gehen wird.
Wenn man nicht weiß, wie lange man seine Stelle noch behalten wird.
Wenn man nicht weiß, wie man mit der mageren Rente zurecht kommen soll.
Wenn die Ehe vor dem Aus steht oder die Beziehungen zu den Kindern zerrüttet sind.
Wenn ein Kind schwer erkrankt ist, wenn man einsam ist….und und und.
Es gibt viele Anlässe, die tatsächlich berechtigten Grund zur Sorge geben.

Als Mitarbeitervertreter (Betriebsrat) habe ich viel mit Belastungen am Arbeitsplatz zu tun und da habe ich neulich einen Artikel aus der ZEIT gelesen über Erkrankungen am Arbeitsplatz. Und da erzählte eine Betriebsärztin von einer jungen Auszubildenden, die gesagt hat: „Wenn ich mit dem Gespräch hier fertig bin, fahre ich mit dem Aufzug nach oben und spring runter.“ (Sie hat es dann glücklicherweise nicht getan, sondern konnte überzeugt werden, freiwillig in die Psychiatrie zu gehen.)

Es gibt sie, die Belastungen durch die Arbeit, die Belastungen des Lebens, die die Existenz bis ins Mark erschüttern.

Seid nicht bekümmert? Seid nicht traurig? Lasst den Mut nicht sinken? - Drei - Zwei - Eins - Schnipp! - Weg?

Aber unser Vers geht ja weiter. Es braucht die Freude am Herrn! Sie ist Kraft, Schutz, Zuflucht, Burg!

Aber was ist das eigentlich? Freude am Herrn?

Freude kann man ja nicht so einfach verordnen. Freude kann man auch nicht so einfach machen. Freude ist ja in unserem Verständnis zunächst einfach mal eine Emotion. Ein Gefühl, das in mir entsteht als Reaktion auf irgendwas. Und da hakt es schon. Bei mir zumindest.

Ich bin ja eher so der ausgeglichene Typ. Mich regt selten was auf. „Passt scho“ gilt irgendwie immer.
Meine Gefühle laufen so fast wie eine Nullkurve gleichmäßig vor sich hin, mit minimalen Ausschlägen nach oben und unten -  bei Hunger und Durst bspw. oder bei Toren und Gegentoren.
Himmelhoch jauchzend oder zu Tode betrübt kenne ich eher selten und übermäßige Gefühlsäußerungen sind mir auf jeden Fall suspekt, wenn sie nicht ohnehin unter Hysterie einzuordnen sind. Okay, ich habe jetzt geringfügig übertrieben.

Wikipedia schreibt: „Freude ist der Gemütszustand oder die primäre Emotion die als Reaktion auf eine angenehme Situation oder die Erinnerung an eine solche entsteht. Je nach Intensität äußert sie sich als Lächeln, Lachen, Freudenschrei oder in einem Handeln"

Freude ist als Emotion auf jeden Fall etwas Vorübergehendes, etwas das für eine bestimmte Zeitspanne in uns entsteht. Kann so etwas Kurzfristiges zur Stärke werden?

Ich denke, dass hier in unserem Vers mehr gemeint ist, als nur eine vorübergehende Emotion, mehr als ein kurzes sich-über-Gott-freuen, sondern eher eine tiefgehendere Haltung oder Einstellung. Etwas Umfassenderes, etwas Ganzheitlicheres. Etwas das dem Leben Struktur und Rahmen gibt.

Ich hätte hier wahrscheinlich eher geschrieben: der Glaube ist Eure Stärke, das Verwurzeltsein in Gott ist Eure Stärke, das Vertrauen auf Gott ist Eure Stärke, das Getragensein usw. ist Euer Schutz. Gott nahe zu sein ist Eure Stärke, Euer Schutz..

Aber vielleicht hängt das ja alles auch irgendwie zusammen?

„Aber das ist meine Freude, dass ich mich zu Gott halte / und meine Zuversicht setze auf Gott den HERRN“ (Ps. 73, 28 Luther)

„Ich aber: Gott zu nahen ist mir gut. Ich habe meine Zuversicht auf den Herrn, HERRN, gesetzt, zu erzählen alle deine Taten.“ (Rev. Elb.)


Hier haben wir es zusammen. Gott nahe zu sein ist meine Freude, mein Glück, wie es in anderen Übersetzungen heißt. Das war übrigens die Jahreslosung 2014. Es gibt hier auch ein schönes Lied dazu von Arne Kopfermann. Und auf unserer Gemeindefreizeit wurde dazu sogar Walzer getanzt.

Der Asaf hatte hier genau unser Problem. Er war zutiefst bekümmert über die Umstände in seinem Leben und hat erkannt, durch die Nähe Gottes, durch das In-Gott-Sein konnte er über die Umstände hinwegblicken. Er konnte sie nicht ändern, aber dadurch konnte er seine Einstellung ändern und Glück und Freude empfinden.

Wenn also Esra hier von der „Freude am Herrn“ spricht, dann hängt das zusammen mit dem sich zu Gott halten, ihn suchen, ihn nahe sein, dann ist das nichts, was man als guter Israelit am Gürtel ständig mit sich trägt, sondern etwas was durch das sich-Gott-nähern - in welcher Form auch immer - entsteht.

Freude erwächst beispielsweise aus der Dankbarkeit. Aus dem Erinnern an das was Gott Gutes in der Vergangenheit bereits getan hat. Beim Volk Israel war es das regelmäßige Erinnern an den Auszug an Ägypten, die Versorgung in der Wüste und der Einnahme des gelobten Landes. Oder aus der Dankbarkeit für die eingebrachte Ernte usw.

Als Martin Luther einmal eine depressive Phase durchlitt, hatte seine Frau einen interessanten Einfall. Sie trat ihm in Trauerkleidern entgegen. Er erschrak: "Wer ist gestorben?"
"Unser Herrgott!", sagte sie.
Da musste er lächeln: "Ei, du Närrlein, … Solche Scherze stehen dir übel!"
Aber sie antwortete: "Doch - unser Herrgott muss gestorben sein. Sonst könnte mein Martinus nicht so traurig sein!" - Jetzt ging ihm ein Licht auf.
Er umfasste sie mit beiden Armen: "Ja, du hast Recht, ich darf nicht traurig sein, da mein Herrgott im Himmel lebt, und seine Wege Güte und Weisheit sind.“
(Quelle: https://www.erf.de/erf-plus/audiothek/wort-zum-tag/nehemia-8-10/73-4262)


Freude an Gott hat auch was zu tun mit Feiern, Singen, Gemeinschaft. Freude ist ganzheitlich. Freude will ganzheitlich erfahren werden, will ausgedrückt, ausgelebt werden. Das jüdische Glaubensverständnis ist ohnehin ein Ganzheitlicheres. Zum Leben gehört Freude. Und die Freude an Gott wird im Leben gelebt, gefeiert, ausgedrückt. Das wusste auch Esra. Deshalb heißt es nämlich unmittelbar vor und nach unserem Vers:

„Und Esra sprach zu ihnen: Geht hin und esst fette Speisen und trinkt süße Getränke…Und alles Volk ging hin, um zu essen, zu trinken und davon auszuteilen und ein großes Freudenfest zu feiern“ (Neh. 8, 10.12 Luther)

Fette Speisen, süße Getränke, vermutlich ist hier süßer Wein gemeint, gemeinsam feiern, das alles ist Ausdruck der Freude an Gott. Die Juden sind nicht prüde und lebensverneinend, sondern das gemeinsame Feiern als Teil des Lebens entspringt aus der Freude über Gott, aus der Dankbarkeit an ihn als Geber aller guten Gaben.

Jetzt sind wir schon ein bisschen angelangt beim eigentlichen Kontext unseres Verses. Was war die Situation?

In den Büchern Esra und Nehemia lesen wir vom Wiederaufbau Jerusalems nach dem babylonischen Exil. Und am Ende versammelte sich das ganze Volk, damit ihnen das Gesetz vorgelesen und erklärt werden konnte. Und am Ende dieses Vorgangs heißt es:

„alles Volk weinte, als sie die Worte des Gesetzes hörten“ (V. 9 Luther)

Das ganze Volk weinte. Es steht nicht dabei warum. Haben sie geweint, weil sie erkannt haben, wie fern sie Gott waren? Ein Erschrecken, eine Bestürzung über die eigene Schuld sozusagen? Haben sie angefangen zu erahnen, wie Gott sie sich als Volk und als Individuen eigentlich vorgestellt hat? War ihnen deshalb zum Heulen zumute?

Oder haben sie geweint, weil sie verstanden haben, welch ungeheure Aufgaben Gott ihnen mit diesen über 600 Geboten zumutet und welcher Strafenkatalog sie in Zukunft erwarten wird? Vielleicht ja auch beides gleichzeitig?
Sie haben gleichzeitig erkannt wie fern sie Gott waren und welch immensen Anstrengungen es sie kosten wird in Zukunft immer alles richtig zu machen. Und es wird ihnen doch nicht gelingen. Eigentlich eine unglückliche Situation. Und in diese Situation hinein sagt Nehemia:

„seid nicht traurig und weint nicht! Denn alles Volk weinte, als sie die Worte des Gesetzes hörten. Und Esra sprach zu ihnen: Geht hin und esst fette Speisen und trinkt süße Getränke und sendet davon auch denen, die nichts für sich bereitet haben; denn dieser Tag ist heilig unserm Herrn. Und seid nicht bekümmert; denn die Freude am HERRN ist eure Stärke.“ (V. 9b.10 Luther)
Eigentlich heißt diese Stelle: Verzweifelt nicht an Eurer Schuld und Eurer Unzulänglichkeit, sondern schaut auf dem Herrn und freut Euch an ihm. 

Es geht hier eigentlich gar nicht um einen Zuspruch für alle Widrigkeiten des Lebens, sondern es geht um Trost für all diejenigen, die zerbrochen und gedemütigt sind durch das Erkennen der eigenen Sündhaftigkeit, der eigenen Gottesferne.

Ich habe überlegt, welche Stelle im NT etwas Ähnliches aussagt. Und da ist mir diese eingefallen. Jesus spricht hier:

„Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.“ (Mt. 11, 28 - 30 Luther)
Auch hier spricht Jesus wohl zu denen, die beladen sind mit ihrer Schuld, die gedrückt werden vom Gesetz und auch noch von manch zusätzlichen Lasten, die die Pharisäer der Bevölkerung auferlegt haben. Er verheißt ihnen diese Lasten abzunehmen.

Jesus kann das. Das ist der Unterschied. Er hat das Gesetz dauerhaft hinweggetan. Die Lasten gibt es nicht mehr.
Bei Nehemia im alten Bund, sind die Feiern nur so eine Art vorübergehendes Luftholen und Eintauchen in die Liebe Gottes. Die Forderungen des Gesetzes jedoch blieben bestehen.

Wenn wir heute aus der Perspektive des neuen Bundes auf die „Freude am Herrn“ schauen, dann können wir dies auf Grundlage dessen tun, was am Kreuz geschehen ist, was Jesus dort bewirkt hat, aus dem Wissen heraus, das wir in ihm eine Grundlage für vollkommene und ewige Freude haben.

Und da passt es ja auch, dass es auf Weihnachten zu geht. Nicht umsonst heißt es:

„Siehe, ich verkündige euch große Freude“ (Lk. 2,10 Luther)

Die Adventszeit ist ja jetzt eigentlich eine Zeit der Vorbereitung, der Besinnung, des Einkehrens und Innehaltens. Eine Zeit wo wir uns vielleicht neu vornehmen können, Gott in besonderer Weise nahe zu sein.

Faktisch ist sie meist eine Zeit vermehrten Stresses. Das ist ja nicht nur der Mehraufwand durch die Vorbereitung der Feierlichkeiten, sondern es geht ja auch aufs Jahresende zu und im Betrieb müssen viele Prozesse zum Abschluss gebracht werden, Auswertungen gemacht, Rechnungen geschrieben, Statistiken erstellt. Alles ballt sich in den letzten beiden Monaten des Jahres. Und dann auch noch Weihnachten.

Vorhin habe ich ja gesagt, die Freude an Gott und die Nähe zu Gott sind eng miteinander verknüpft. Könnte nicht jetzt die Zeit sein neu in die Nähe Gottes einzutauchen. Und da gibt es viele verschiedene Wege und Möglichkeiten:

  • wenn ich ihm im Gebet mein Herz ausschütte, meine Sorgen mitteile, mein Leid klage, ihm meinen Blues hinbringe sozusagen
  • wenn ich anbete oder Lobpreislieder singe
  • wenn ich ihm danke für all das Gute in meinem Leben
  • wenn ich mich hinsetzte und einfach Lobpreismusik höre
  • wenn ich einfach mal still bin vor ihm und sage „Ich bin jetzt einfach hier.“
  • wenn ich Bibel lese oder Bibelverse ausspreche
  • wenn ich Gemeinschaft mit Geschwistern habe
  • wenn ich seinen Segen empfange oder weiter gebe
  • wenn mich neu sein Heiliger Geist erfüllt
  • wenn ich das Abendmahl empfange
  • wenn ich andern Gutes tue oder mir Gutes tuen lasse
  • wenn ich über seine Schöpfung staune
  • uvm. ……

All das sind Wege in die Nähe Gottes und damit in die Freude am Herrn.

Einen letzten Punkt habe ich noch. Etwas das auch stark mit Freude verbunden ist, ist Tanz. Das Tanzen vor Freude hatte und hat in der jüdischen Kultur einen großen Stellenwert.

H. ist ja gerade in Asien auf einem globalen Nehemia-Kongress (schon wieder Nehemia). Und H. hatte dort Geburtstag. Und er hat Videos geschickt, wie ihm zum Geburtstag gratuliert wurde. Und ich weiß jetzt nicht, ob das eine besondere Challenge war, aber die haben ihm tanzend gratuliert. Die kamen mit den vielen Geburtstagstorten angetanzt und haben gesungen. Habt Ihr schon mal jmd. tanzend zum Geburtstag gratuliert? Nein, ich auch nicht. Das ist in unserer Kultur unbekannt. Aber es ist ein legitimer Ausdruck von Freude.

Manchmal möchten wir uns freuen, aber sind innerlich blockiert. Kein Wunder, wenn wir den ganzen Tag nur im Bürostuhl sitzen. Und dann braucht unsere Seele Befreiung. Devil, come out! Bewegung tut uns nicht nur körperlich gut, sondern auch unserer Seele, unserer Psyche, unserem Gemüt. Und vielleicht probiert Ihr es ja bei der nächsten Gebetszeit zu Hause mal aus und fangt an beim Lobpreis zu tanzen.

AMEN.



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