Sonntag, 13. März 2016

Predigt von Norbert Wohlrab (13.03.2016)

Mühselig und beladen. mp3


Mühselig und beladen


1. Einleitung

Für den heutigen Sonntag ist mir ein Bibeltext aus dem Matthäus-Evangelium wichtig geworden, den wir alle nur zu gut gehen:

„Kommt her zu mir, alle ihr Mühseligen und Beladenen! Und ich werde euch Ruhe geben. Nehmt auf euch mein Joch, und lernt von mir! Denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig, und "ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen“; denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.“ (Mt. 11, 28-30 Rev. Elb.)

 
Jesus spricht also: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid.“ Dieser Vers ist uns allen bekannt, egal ob wir nun Anfänger im Bibellesen sind oder sie noch gar nicht gelesen haben oder schon Fortgeschrittene sind. Diese Einladung, den sogenannten Heilandsruf haben wir irgendwo schon mal gehört Er ist uns allen vertraut.

Ich habe im Internet ein Beispiel gelesen, dass wenn ich jetzt in einer afroamerikanischen Gemeinde irgendwo in New York, in Harlem oder Brooklyn fragen würde: „Wer von Euch ist denn beladen?“, dann würde sofort ein großer Teil der Anwesenden die Hände heben und nach vorne stürmen, weil genau sie sich mühselig und beladen fühlen und Gebet brauchen. Der Rest der Gemeinde würde das Ganze mit lauten Singen und Beten und „Halleluja“- und „Amen“-Rufen begleiten. Aber auch sie würden sich selbst selbstverständlich als mühselig und beladen definieren.

Und hier bei uns?
Haben nicht auch wir vielfach schwer zu tragen in unserem Leben?
Sind nicht auch wir häufig schwer belastet und beladen?
In unserem Alltag: in der Arbeit, in der Familie? Oder durch Krankheit und Leid ?

„Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.“ (Mt. 11,28 Luther)

Brauchen nicht auch wir diese Erquickung, wie es Luther übersetzt?

Wünschen wir uns nicht, dass irgendwie alles gut wird, alle Probleme werden gelöst, endlich auftanken, rund-um-versorgt sein wie ein Säugling an der Brust der Mutter, all-inclusive wie auf dem Kreuzfahrtschiff, Sonne und Strand, Karibik und Cocktails, Wellness bis zum Abwinken, Auszeit und Massage, ganzheitliche Erquickung aus dem Gebetsautomaten Gottes, alles wird gut. Eine Art christliches Schlaraffenland.

Liebe Gemeinde, ich habe jetzt bewusst überzeichnet, aber solche oder zumindest so ähnliche Gedanken haben wir schon beim Lesen dieses Verses:

„Kommt zu mir, ihr alle, die ihr euch plagt und von eurer Last fast erdrückt werdet; ich werde sie euch abnehmen.“ (Mt. 11,28 NGÜ)

aber ich befürchte, Jesus meint hier etwas ganz anderes.



2. Befreiung von religiösen Lasten

Gewiss werden wir im NT - Gott sei Dank - eingeladen unsere Sorgen und Nöte ihn hinzubringen, auf ihn zu werfen und loszulassen. Und ich weiß gar nicht, wie ich ohne dies leben könnte. Das Leben wäre zumindest viel schwerer, düsterer, belasteter. Aber hier bei diesem Heilandsruf geht es Jesus um eine ganz andere, um eine ganz spezielle Art von Last.

Vergegenwärtigen wir uns zunächst einmal das Umfeld an in dem Jesus hier diese Aussage trifft. Jesus ist gerade mit seinen Jüngern in Galiläa unterwegs um das Reich Gottes zu verkünden. Da kommt eine Gruppe von Johannesjüngern zu ihm. Sie wollen wissen, ob Jesus der Messias ist. Er spricht dann zu einer nicht genauer definierten Menge, die sich also aus seinen Jüngern, den Johannesjüngern und den übrigen Menschen zusammen setzt, die gekommen sind um ihn zu hören.

Diese Menschen haben alle (oder zumindest zum größten Teil) etwas gemeinsam: es sind fromme, religiöse Menschen.
Die Zeit Jesu war allgemein eine Zeit hoher Frömmigkeit im Judentum. Es gab keine Hurerei mit fremden Göttern. Es gab viele radikale religiöse Gruppen und Sekten, die Pharisäer und Sadduzäer, die Essener uvm. Außerdem gab es eine hohe Messias-Erwartung. Erst hat man gedacht, Johannes könnte der Gesalbte sein, nun fragt man sich, ob Jesus es sein könnte.

Seine Zuhörer sind also größtenteils Menschen, die versuchen „richtig“ zu leben, die versuchen nach dem Willen Gottes zu leben. Menschen die das Gesetz und die religiösen Vorschriften der damaligen Zeit kennen und danach streben, sie zu befolgen. Menschen die versuchen, die 613 Gebote des AT plus die zahlreichen weiteren Vorschriften der Pharisäer usw. einzuhalten. Es sind Menschen, die nach dem Frieden mit Gott, nach Erlösung, nach Ruhe in Gott suchen und sie durch das Befolgen der Gesetze und Vorschriften zu erlangen hoffen.

Und mit diesen Vorschriften und Gesetzen plagen und quälen sie sich ab. Von ihnen werden sie erdrückt. Die Gebote und das Gesetz sind schon schlimm genug und unhaltbar. So schlimm, dass Paulus sie als Dienst des Todes bezeichnet (2. Kor. 3,7). Aber nun kommen auch noch die Pharisäer mit ihren zusätzlichen Vorschriften, von denen Jesus sagt:

„Sie binden aber schwere und schwer zu tragende Lasten zusammen und legen sie auf die Schultern der Menschen. (Mt. 24,4 Rev. Elb.)

Hiermit haben sich die Menschen geplagt. Damit haben sie gekämpft und gerungen. Sie waren mühselig. Hatten also Mühe für ihre Seele, in der deutschen Übersetzung des Wortes kommt das ganz gut rüber.
Die Frage, die sie gequält hat, war auch die uns bekannte Frage eines Martin Luthers: „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“
„Wie bekomme ich Frieden mit Gott?“
„Wie kann ich in die Ruhe Gottes eingehen?“

Und Ruhe meint hier ja nicht nur: cool down, chillen und immer schön locker bleiben. Es meint die Ruhe durch den Frieden mit Gott.

„So spricht der HERR: Tretet auf die Wege, seht und fragt nach den Pfaden der Vorzeit, wo denn der Weg zum Guten sei, und geht ihn! So werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.“ (Jer. 6,16 Rev. Elb.)

Es geht hier also nicht um die Mühsal des Alltags:

  • um die Lasten die ein Bauer bei der kargen Erntearbeit zu tragen hat oder
  • um die kinderlose Witwe deren Mann zu früh verstorben ist und die nun von Almosen leben muss oder
  • um den Sklaven, der unter den Gewaltausbrüchen seines Herrn zu leiden hat oder
  • um den Viehhirten, der einen Arm beim Kampf gegen einen Berglöwen verloren hat usw.

Diesen Alltagsnöte von Tausenden hätte Jesus als einzelner Mensch ja auch gar nicht abhelfen können. Allerhöchstens punktuell. Hier hätte er viele enttäuschen müssen. Nein, ihm geht es hier um das Seelenheil.

„Kommt zu mir“ ist der weitgehend identische Ruf mit dem uns bekannten „Folget mir nach“. Es geht um die Einladung sein Heil, seine göttliche Ruhe in Jesus zu finden. Ruhe für die Seele, nicht durch das ängstliches Befolgen von Vorschriften und durch Abmühen, sondern durch das Annehmen des Geschenkes der Gnade, des Heils aus seiner Hand.

Es gibt einen Text beim Propheten Jesaja, an dem ich in diesem Zusammenhang wieder denken musste:

„Auf, ihr Durstigen, alle, kommt zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt, kauft und esst! Ja, kommt, kauft ohne Geld und ohne Kaufpreis Wein und Milch! Warum wiegt ihr Geld ab für das, was kein Brot ist, und euren Verdienst für das, was nicht sättigt? Hört doch auf mich, und esst das Gute, und eure Seele labe sich am Fetten! Neigt euer Ohr und kommt zu mir! Hört, und eure Seele wird leben! Und ich will einen ewigen Bund mit euch schließen, getreu den unverbrüchlichen Gnadenerweisen an David.“ (Jes. 55,2 Rev. Elb.)

Es gibt kein Geld, keine Mühe, kein Werk, dass es ermöglicht selbst in die Ruhe Gottes zu kommen. Es ist alles umsonst, weil alles umsonst ist. Alles Bemühen ist nutzlos, weil alles gratis ist.


3. Aufruf

„…alle haben gesündigt und erlangen nicht die Herrlichkeit Gottes und werden umsonst gerechtfertigt durch seine Gnade, durch die Erlösung, die in Christus Jesus ist. (Röm. 3, 23.24 Rev. Elb.)

Alle umsonst? Alle, die danach suchen. Die nach der Ruhe, nach dem Heil trachten, die sich Rechtfertigung wünschen. Wenn ich nicht danach suche, kann ich den Heilandsruf ja auch nicht hören. Wenn ich kein Interesse am Heil, keine Sehnsucht nach meiner Erlösung habe, kann ich auch nicht hören, wie Jesus mich einlädt zu ihm kommen und zu glauben, dass er der Heiland ist, dass er für mein Heil vorgesorgt hat.

Aber wenn ich es höre, dann kann ich sagen: „Ja, Herr. Ich glaube! Ich erkenne, dass ich ein Sünder bin und ich brauche Deine Vergebung und nehme sie für mich persönlich an. Danke, dass Du für meine Schuld gestorben bist.“ 


So wird man Christ. Nicht durch ein bisschen Wasser auf den Kopf in einer Lebensphase, wo der Kopf noch gar nicht richtig ausgebildet ist, sondern durch das persönliche Annehmen der Vergebung Gottes ermöglicht durch den Tod von Jesus Christus am Kreuz. Denn auch wenn es für mich umsonst ist, hat es Jesus doch einiges gekostet.

Und dann passiert es: kaum mal nicht aufgepasst, schon hab ich ein Joch um den Hals. Es heißt ja, dass wir sein Joch aufnehmen sollen.

Bob Dylan singt in einem Lied :

„You're gonna have to serve somebody,
It may be the devil or it may be the Lord
But you're gonna have to serve somebody.“.


(„Gotta Serve Somebody“, 1979 auf „Slow Train Coming“)

Irgendjemanden musst Du dienen. Irgendein Joch wirst du immer tragen, ob Du willst oder nicht.

Mache ich mich zum Sklaven des Materialismus oder des Konsums?
Trage ich das Joch des beruflichen Erfolges?
Versuche ich mein Heil in der Esoterik zu finden?
Werde ich zum Sklaven meines Freizeitgenusses?
Oder versuche ich einfach nur in aller Selbstbestimmtheit mir mein eigenes Ich als Joch zu zimmern und aufzuerlegen?

Irgendein Joch wirst Du tragen. Der Unterschied ist der, das Joch, das Jesus mir auflegen möchte, ist nicht schwer. Es ist ein leichtes Joch. Es drückt nicht, es schneidet nicht ein. Sein Joch ist sanft, weil er sanftmütig ist. Er fordert uns auf von ihm zu lernen. Er zwingt uns nichts auf.

Sein Joch heißt einfach: „Glaube an mich. Nimm meine Vergebung an. Lebe in meiner Liebe….und gib meine Liebe weiter.“ Und sogar dabei hilft er uns. In einem Joch sind ja zumeist zwei Tiere eingespannt, die gemeinsam daran ziehen. Jesus spannt sich selbst mit ein. Er zieht mit uns. Wir können nicht nur an seinem Vorbild lernen, er gibt uns auch noch den Heiligen Geist, der uns vieles erst ermöglicht.

In den Apokryphen gibt es bei Jesus Sirach einen interessanten Text, der sowohl Elemente des Heilandsrufs, als auch der vorhin gelesenen Stelle aus Jesaja beinhaltet. Dort ist es die Weisheit, die beschrieben wird. Die Weisheit ist ja vielfach auch ein Bild für Jesus.

„Kehrt bei mir ein, ihr Unwissenden, verweilt in meinem Lehrhaus! Wie lange noch wollt ihr das alles entbehren und eure Seele dürsten lassen? Ich öffne meinen Mund und sage von ihr: Erwerbt euch Weisheit, es kostet nichts. Beugt euren Nacken unter ihr Joch und nehmt ihre Last auf euch! Denen, die sie suchen, ist sie nahe, und wer sich ihr ganz hingibt, findet sie. Seht mit eigenen Augen, dass ich mich nur wenig bemühte, aber viel Ruhe gefunden habe. Hört auf meine knapp bemessene Lehre! Durch sie werdet ihr viel Silber und Gold erwerben. Eure Seele freue sich an meinem Lehrstuhl, meines Liedes sollt ihr euch nicht schämen.“ (Jesus Sirach 51, 23 - 28 EÜ)



4. Fromme Lasten der Christen

Und wie ist es bei uns Christen, wenn wir schon länger im Prozess der Nachfolge stehen? Sicher, auch wir laufen hin und wieder Gefahr es machen zu wollen, wie das Volk Israel in der Wüste: die Schnauze voll vom Manna zu haben und zurück zu wollen zu den Fleischtöpfen Ägyptens. In einer Art Verklärung der Vergangenheit.

Aber die größte Gefahr liegt eher darin, dass wir hergehen und auf das leichte Joch Jesu noch viele zusätzliche Lasten drauf legen. Auch bei den frommen Juden waren es nicht immer die anderen, die ihnen die Lasten aufgelegt haben, nein, mit vielen Gewichten haben sie sich selbst belastet. Und was ich meine ist, dass wir die Freiheit des Evangeliums mit zahlreichen frommen Lasten verschütten:



  • den Zehnten zu geben
  • keinen Alkohol zu trinken
  • mehrere Stunden am Tag zu beten (Ich war mal auf einem Seminar, da hat der Prediger, der seinen Aussagen zufolge schon mehrere Tote auferweckt hat, gesagt, dass geht nur mit 8 Stunden Gebet täglich. Mir war dann klar, wer wohl nicht dazu berufen ist, Tote aufzuerwecken.)
  • mehrmals täglich in der Bibel zu lesen
  • auf keinen Fall einen Gottesdienst zu versäumen
  • bestimmte Kleidung zu tragen oder nicht zu tragen
  • immer zu lächeln
  • ….

Wie schnell wird aus der Freiheit etwas zu tun oder zu lassen, ein Zwang, eine Pflicht, ein Gesetz, eine Last.
Aus der Freiheit Geld zu geben, wird ein Zwang („einen fröhlichen Geber hat Gott lieb“ 2. Kor. 9,7 Luther).
Aus der Freiheit in den Gottesdienst zu gehen, wird ein Zwang.
Aus dem Geschenk der Gemeinschaft mit Gott und den Geschwistern, wird ein Zwang.
Aus dem Geschenk des Gebets und der Bibel, wird ein Zwang.
Zwang, Zwang, Zwang.
„Wem der Teufel nicht bremsen kann, den treibt er!“, heißt es.

Versteht mich nicht falsch. Es ist alles richtig. Es ist richtig zu spenden, zu beten, die Bibel zu studieren, in den Gottesdienst zu gehen usw. Aber nicht aus Zwang, aus Leistung, als Gesetz. Denn dann wird es genau wieder zu der Last, die uns Jesus doch abnehmen möchte, sondern aus Freiheit.

„Für die Freiheit hat Christus uns frei gemacht. Steht nun fest und lasst euch nicht wieder durch ein Joch der Sklaverei belasten!“ (Gal. 5,1 Rev. Elb.)


AMEN.

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