Mittwoch, 23. Januar 2013

Predigt von Norbert Wohlrab (20.01.13)

Der barmherzige Samariter 

Hinter uns liegt wieder die Allianz-Gebetswoche mit ihrem Motto: „Unterwegs mit Gott“. Wir haben in dieser Woche viel für Menschen und ihre Nöte in Fürth gebetet (Arbeitslose und Geringverdiener, soziale Gerechtigkeit, sozialen Wohnungsbau, Schüler und Jugendliche, Greuther Fürth etc). Dies war auch ein Dienst am Nächsten, ein Ausdruck von Nächstenliebe, auch wenn vielfach noch weitere praktische Hilfe nötig ist.

Nicht jeder hat eine Position wo er sich politisch gestaltend einbringen kann, aber jeder kann beten.

Besonders hat mich der Mittwoch bewegt: wir haben im Rathaus stellvertretend um Vergebung gebeten für das Unrecht an den Juden im 3. Reich durch unsere Stadtvertreter, die sie im großen Umfang enteignet haben, ohne dass hier jemals Wiedergutmachung stattgefunden hätte.

Im Lauf der Woche ist mir so das Thema für heute gekommen. Und als ich am Freitag die Zeitung gelesen hab, dachte ich mir: das passt ja optimal zu meiner Predigt.

Eine junge Frau in Köln wurde mit Ko-Tropfen betäubt und missbraucht. Sie wird in der Notarztpraxis behandelt und dann weiter schickt zu weiteren gynäkologischen Untersuchungen in katholische Krankenhaus nebenan. Hier wird die Hilfe aus moralischen Gründen abgelehnt, angeblich weil man auch die Pille danach verabreichen müsste (wovon laut Notarztpraxis nie die rede war). Das gleiche geschieht in einem weiteren katholischen Krankenhaus. Ein unglaublicher Vorfall.

Nun kann man ja durchaus verschiedene Meinungen zum Beginn des Lebens haben und ob die Pille danach einer Abtreibung gleichzusetzen ist. (Bei Juden beginnt das Leben übrigens dann, wenn die Kinder aus dem Haus und der Hund tot ist.) Hier wurde aber auf jeden Fall die Moral - ob nun begründet oder nicht - über die Not eines Menschen gestellt. Das passt zu meinem heutigen Predigttext.

„Ein Gesetzeslehrer wollte Jesus auf die Probe stellen. »Meister«, fragte er, »was muss ich tun, um das ewige Leben zu bekommen?« Jesus entgegnete: »Was steht im Gesetz? Was liest du dort?«
Er antwortete: »›Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, mit ganzer Hingabe, mit aller deiner Kraft und mit deinem ganzen Verstand!‹ Und: ›Du sollst deine Mitmenschen lieben wie dich selbst!‹ « – »Du hast richtig geantwortet«, sagte Jesus. »Tu das, und du wirst leben.« Der Gesetzeslehrer wollte sich verteidigen; deshalb fragte er: »Und wer ist mein Mitmensch?«
Daraufhin erzählte Jesus folgende Geschichte: »Ein Mann ging von Jerusalem nach Jericho hinab. Unterwegs wurde er von Wegelagerern überfallen. Sie plünderten ihn bis aufs Hemd aus, schlugen ihn zusammen und ließen ihn halbtot liegen; dann machten sie sich davon. Zufällig kam ein Priester denselben Weg herab. Er sah den Mann liegen, machte einen Bogen um ihn und ging weiter. Genauso verhielt sich ein Levit, der dort vorbeikam und den Mann liegen sah; auch er machte einen Bogen um ihn und ging weiter. Schließlich kam ein Reisender aus Samarien dort vorbei. Als er den Mann sah, hatte er Mitleid mit ihm. Er ging zu ihm hin, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie. Dann setzte er ihn auf sein eigenes Reittier, brachte ihn in ein Gasthaus und versorgte ihn mit allem Nötigen. Am nächsten Morgen nahm er zwei Denare aus seinem Beutel und gab sie dem Wirt. ›Sorge für ihn!‹, sagte er. ›Und sollte das Geld nicht ausreichen, werde ich dir den Rest bezahlen, wenn ich auf der Rückreise hier vorbeikomme.‹« »Was meinst du?«, fragte Jesus den Gesetzeslehrer. »Wer von den dreien hat an dem, der den Wegelagerern in die Hände fiel, als Mitmensch gehandelt?« Er antwortete: »Der, der Erbarmen mit ihm hatte und ihm geholfen hat.« Da sagte Jesus zu ihm: »Dann geh und mach es ebenso!« (Lk. 10, 25 - 37 NGÜ)
 


Bei Luther beginnt dieser Textabschnitt mit „Und siehe...“. Dies bedeutet, dass ein Zusammenhang mit dem vorhergehenden Geschehen besteht. Dort jubiliert Jesus im Geist,  weil Evangelium den sogenannten Unmündigen offenbart wurde, aber den sogenannten Weisen und Klugen verborgen blieb (V. 21). So ein Weiser - bzw. jemand, der sich selbst für weise hält - ist nun dieser Schriftgelehrte. Dieser Lehrer des Gesetzes kennt sich aus in der Schrift. Er hat nun die Absicht Jesus eine Falle zu stellen. Er möchte ihn auf´s Glatteis führen. Er möchte, dass Jesus sich in Widersprüche verwickelt und er etwas gegen ihn in die Hand bekommt.

Dieser Mann fragt jetzt nicht, wie z.B. später der Kerkermeister in Philippi: „Was muss ich tun, damit ich gerettet werde?“ (Apg. 16,30). Wen man so fragt, dann hat man begriffen, dass man verloren ist und nur die Gnade Gottes mich erretten kann. Dieser Schriftgelehrte dagegen offenbart sich als selbstgerechter Mensch, der sich das ewige Leben verdienen will. Er betrachtet sich als kompetent genug um selbstverständlich das zu tun, was Gott von ihm möchte.

Der Kerkermeister bekommt auf seine ehrliche Frage die Antwort: „Glaube an Jesus, den Herrn, und du wirst gerettet werden, du und alle, die in deinem Haus leben!“ (Apg. 16,31).  Der Gesetzeslehrer erhält zwei Gegenfragen: „Was steht im Gesetz? Was liest du dort?“ Jesus bedient sich hier der normalen Form des theologischen Disputs der frommen Juden: Frage und Gegenfrage. Jesus geht auf ihn ein. Er lehnt ihn nicht gleich ab, weil er Jesus nur versuchen will. Er sagt nichts von „Ottern und Schlangengezücht“ o.ä., sondern er begibt sich auf seine Denk-Ebene.

Und nun gibt der Schriftgelehrte eine hervorragende Antwort. Er kombiniert eigenständig zwei verschiedene Schriftstellen des AT, des Gesetzes - 5. Mose 6,5 und 3. Mose 19,18 - und zeigt damit auf, worum es eigentlich geht: Gott lieben und den Nächsten lieben! Er hat aus über 600 Gesetzen die zwei herausgepickt, die den Kern des ganzen Gesetzes ausmachen. Dies zeigt, dass er vom Gesetz wirklich etwas verstanden hat.

Jesus sagt selbst an anderer Stelle:  „An diesen zwei Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.“ (Mt. 22,40 Rev. Elb.)

Man muss sich das vorstellen wie einem Kleiderhaken. An einem Kleiderhaken hängt die Jacke. Die ganzen Gesetze hängen an diesem Haken des Doppelgebots der Liebe. Ohne den Haken, also ohne die Liebe verlieren die Gesetze ihre eigentliche Bedeutung.

Paulus schreibt dazu: „So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung.“ (Röm. 13,10b Luther)

Soweit so gut. Theoretisch hat der Gelehrte was verstanden. Die Antwort von Jesus ist jetzt aber niederschmetternd. Es geht nicht um theoretisches Verständnis, es geht um praktische Anwendung: „Richtig! Tu das und du wirst leben!“  Das Gemeine ist: hier steht im Griechischen die Verbform, es heißt quasi: „Tu dies beständig, tu dies ununterbrochen, tu dies immer während!“ Nicht nur jedem dritten Dienstag im Monat, sondern einfach immer!

Kein Mensch kann dies immer tun. Das Problem für ihn und alle anderen, die nach dem Gesetz Gottes leben wollten und vielleicht auch noch wollen, ist folgender:

„Denn wer das ganze Gesetz hält, aber in einem strauchelt, ist aller Gebote schuldig geworden.“ (Jak. 2,10 Rev. Elb.)

Dies war seine Krux, sein Problem. Was bin ich froh, dass wir frei vom Gesetz sind und es für uns einfach gilt: in Gott zu bleiben. Denn wenn ich in Gott bleibe, werde ich automatisch lieben - ohne juristischen Zeigefinger.

Der Schriftgelehrte hat erkannt, dass er jetzt nicht so einfach raus kommt aus der Falle und fragt: „Ja, Moment, wer ist denn überhaupt mein Nächster?“ Unter den Schriftgelehrten herrschte damals die Vorstellung, dass nur Blutsverwandte und Gerechte überhaupt als Nächste in Frage kommen könnten, auf jeden Fall keine Ausländer und natürlich schon gar keine Samaritaner.

Jesus antwortet mit einer Geschichte, einer Beispiel-Erzählung. Auch das entsprach der damaligen Art des theologischen Disputs. Es ist eine erfundene Geschichte, die sich aber jederzeit hätte so ereignen können.

Ein Mann - höchstwahrscheinlich ein Jude - wurde auf dem Weg von Jerusalem nach Jericho überfallen. Es war ein ca. 27 km langes Teilstück des damaligen Haupthandelsweges zwischen Afrika und Asien. Über 1000 Meter Höhenunterschied. Eine 7 Stunden-Wanderung. Es war ein steiniger und beschwerlicher Weg. V.a. für Händler mit ihren Lasten nicht einfach zu bewältigen. Und für Räuber und Wegelagerer ideal um einen Hinterhalt zu legen.

Der Mann wurde also überfallen, ausgeraubt und liegt nun halbtot am Boden. Nun kommen nacheinander ein Priester und ein Levit vorbei und wechseln die Straßenseite anstatt zu helfen. Zwei fromme Menschen, die regelmäßig Gottesdienst verüben im Tempel, ignorieren hier ihren Nächsten. Heutzutage wäre das unterlassene Hilfeleistung.

In einer Bibelschule in den USA gab es ein Predigtseminar. Als besonderes Highlight des Seminars sollten alle Teilnehmer die Chance bekommen eine Predigt zu halten, die im Radio übertragen wird. Das Thema der Predigt war vorgegeben, es war das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Der Tag der Radioübertragung war gekommen, sicherlich waren alle sehr aufgeregt als sie sich auf den Weg zur Radiostation machten. Allerdings hatte der Leiter des Seminars es so arrangiert, dass jedem Studenten auf dem Weg zur Radiostation ein Mann in den Weg gelegt wurde, der einen Herzinfarkt simulierte. Angeblich hat keiner der Studenten angehalten, um dem Mann zu helfen.

Was hätten wir getan? Ich kann mich an eine vergleichbare Situation erinnern: Es ist Winter. Sonntagvormittag. Ich habe am MTV-Parkplatz geparkt, laufe um die Ecke in Richtung CGF-Räume, bin spät dran (ich weiß nicht mehr genau, entweder musste ich Aufsperren oder Predigen - wie üblich halt). Dann spricht mich ein ausländisch Aussehender an und fragt, ob ich ihm überbrücken kann, weil sein Auto nicht anspringt. Was glaubt Ihr was ich gemacht hab? - „Sorry, ich bin spät dran und müsste jetzt das Auto auch noch holen.“ Soweit ich mich erinnern kann, hat ihn dann ein anderer Gottesdienstteilnehmer geholfen und alles war gut.

Das Problem bei den beiden Klerikern, die nicht geholfen haben, ist folgendes: sie hatten wirklich gute Gründe nicht zu helfen.


„Und der HERR sprach zu Mose: Rede zu den Priestern, den Söhnen Aarons, und sage zu ihnen: Keiner von ihnen darf sich an einer Leiche unrein machen unter seinen Volksgenossen, außer an seiner Blutsverwandtschaft, die ihm nahesteht: an seiner Mutter und an seinem Vater, seinem Sohn, seiner Tochter und seinem Bruder und an seiner Schwester, der Jungfrau, die ihm nahesteht, die noch keinem Mann zu eigen geworden ist; wegen dieser darf er sich unrein machen. Er darf sich nicht unrein machen als Herr unter seinen Volksgenossen, sich zu entweihen.“ (3. Mose 21, 1-4 Rev. Elb.)

Wäre der Verletzte bereits tot gewesen, hätte der Priester sich verunreinigt, er wäre untauglich geworden für den Tempeldienst. Er hat also gänzlich korrekt nach dem Gesetz gehandelt - nach dem Buchstaben des Gesetzes.

Ähnlich ist es bei dem Leviten.

„Wer einen Toten berührt, die Leiche irgendeines Menschen, der wird sieben Tage unrein sein.“ (4. Mose 19,11 Rev. Elb.)

Er wäre zumindest für 7 Tage vom Tempeldienst ausgeschlossen gewesen. Also auch er hatte einen guten Grund möglichst nicht in Kontakt mit dem vermeintlich Toten zu kommen.

Nun hätten die Zuhörer wahrscheinlich erwartet, dass in dieser Geschichte jetzt der gottesfürchtige Jude vorbei kommt. Aber Jesus macht hier etwas schier Unvorstellbares: er lässt einen Samaritaner erscheinen. Das geht eigentlich gar nicht! Das ist so, als würde er in Fürth einen Clubberer erscheinen lassen.

Was ist eigentlich so schlimm an diesem Samaritaner? Warum gab es so einen Hass auf sie?

Wir wissen, dass Israel geteilt war und die Bevölkerung des Nordreichs in die assyrische Gefangenschaft verschleppt wurde. Assyrien hat das Gebiet des Nordreichs (Samaria) mit Kolonisten aus Persien und Babylon bevölkert (2. Kön. 17, 24 - 41). Diese Kolonisten brachten ihre eigenen Religionen mit und vermischten sich mit der geringen jüdischen Restbevölkerung und bildeten dann die Bevölkerung Samarias (eigentlich Samarier). Sie hatten ihre eigenen Religionen, wurden aber auch im jüdischen Glauben unterwiesen. Ein teil von ihnen glaubte an den Gott Israels, sie hatten ihr eigenes Heiligtum und beteten in Garizim an. Sie bildeten die spezielle Gruppe der „Shamerim“ (= Bewahrer), also die Samaritaner. Sie verstehen sich als Bewahrer des jüdischen Glaubens und akzeptieren nur die fünf Bücher Mose, weil sie der Meinung waren, dass die Juden sich danach vom Gott Israels entfernt hätten. Von den Juden wurden sie aus diesen Gründen abgelehnt.
Diese Gruppe existiert übrigens noch heute (ca. 750 Mitglieder).

Ob es sich in diesem Gleichnis nun um einen Samarier oder Samaritaner handelt ist unklar, beides war auf jeden Fall gleichermaßen undenkbar. Sie wurden öffentlich verflucht, es war undenkbar mit ihnen zu essen oder Gemeinschaft zu haben oder sich von ihnen auch noch helfen zu lassen.

Der Samaritaner half nicht um eine Gesetzesnorm zu erfüllen, sondern aus Mitleid. Er wurde innerlich bewegt. Die Liebe trieb ihn. Erinnert Euch: das Gesetz hängt am Haken der Liebe.

Jesus dreht nun die Frage des Gelehrten um. Die Frage ist nicht, wen kann ich eindeutig als „Nächsten“ definieren, sondern an wem kann ich als „Nächster“, als Mitmensch handeln.

Die Geschichte verdeutlicht auch, dass das Gesetz niemanden helfen kann. Der Priester und der Levit verkörpern dieses Gesetz und zeigen die Unfähigkeit des Gesetzes auf. Religion kann nicht erretten. Nur der Heiland kann dies. Der Samaritaner ist ein Bild für Jesus, den Erretter.

Was bedeutet es für uns?

Zunächst mal: wir sind alle auf die Barmherzigkeit Gottes angewiesen. Keiner kann sich selbst erretten.

Aber auch: lasst uns aufmerksam sein für die Not und die Bedürfnisse der Mitmenschen um uns herum. Im Zweifelsfall kann man auch fragen: „Kann ich ihnen helfen?“ Lasst uns bereit sein unseren geplanten Tagesablauf auch mal zu unterbrechen.

AMEN

(Gebet in kleinen Gruppen, dass wir „Oasen“ der Barmherzigkeit für unsere Mitmenschen sind)

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