Sonntag, 18. November 2012

Predigt von Norbert Wohlrab (18.11.12)

Die erste Tempelreinigung (Joh. 2)


1. Einleitung

Ich möchte heute ein bisschen da weiter machen, wo ich letzte Woche aufgehört habe.
Letzte Woche haben wir gemeinsam das Gleichnis von den drei Türen und dem guten Hirten betrachtet. Aufgehört habe ich mit der Feststellung, dass wir oft im Laufe des Nachfolge-Prozesses etwas Patina oder Rost ansetzten, d.h. wir haben etwas verloren von der Freude über die Erlösung, von der Begeisterung über Jesus, von dem Eifer für unseren Herrn usw.

Heute möchte ich mit Euch wieder einen Text aus dem Johannes-Evangelium lesen und auch vielleicht schon einen ersten Hinweis liefern, wie sich unser Zustand wieder verändern kann.

„Kurz bevor die Juden ihr Passafest feierten, ging Jesus nach Jerusalem hinauf. Im Vorhof des Tempels stieß er auf die Händler, die ihre Rinder, Schafe und Tauben zum Verkauf anboten, und auf die Geldwechsler, die ´an ihren Tischen` saßen. Da machte er sich aus Stricken eine Peitsche und trieb sie alle mit ihren Schafen und Rindern aus dem Tempelbezirk hinaus. Er schüttete das Geld der Wechsler auf den Boden und stieß ihre Tische um, und den Taubenverkäufern befahl er: »Schafft das alles weg! Macht aus dem Haus meines Vaters kein Kaufhaus!« Seine Jünger erinnerten sich dabei an die Schriftstelle: »Der Eifer für dein Haus wird mich verzehren.«Die führenden Männer des jüdischen Volkes stellten Jesus zur Rede: »Kannst du uns mit einem Wunder beweisen, dass du das Recht hast, so zu handeln?« Jesus gab ihnen zur Antwort: »Reißt diesen Tempel ab, und ich werde ihn in drei Tagen wieder aufbauen.« –  »Wie?«, entgegneten sie. »Sechsundvierzig Jahre lang wurde an diesem Tempel gebaut, und du willst ihn in drei Tagen wieder aufbauen?« Doch Jesus hatte mit dem Tempel seinen eigenen Körper gemeint. Später, als Jesus von den Toten auferstanden war, erinnerten sich seine Jünger an diesen Ausspruch, und sie glaubten ´den Voraussagen` der Schrift und dem, was Jesus selbst gesagt hatte.“ (Joh. 2, 13-22 NGÜ)


2. Abgrenzung zu den Bußpredigten 


Diese Stelle wird gerne als Allegorie verstanden und verwendet, wenn man der Gemeinde bzw. einzelnen Gliedern so richtig nahe bringen will, dass es unbedingt notwendig ist, dass sie sich reinigen von allerlei Sünde, dass sie wieder umkehren auf dem richtigen Weg, dass sie Buße tun über ihren schlimmen Zustand, dass es nötig ist sich vom Heiligen Geist neu reinigen, neu läutern zu lassen, weil wir ja dieser Tempel sind, den Jesus hier reinigen muss.

„Wir sind der Tempel des lebendigen Gottes“ (2.Kor. 6,16b Rev. Elb.) 


schreibt der Paulus. Jesus könnte ja auch was anderes machen, aber er muss uns reinigen, weil wir so verlottert sind. Also trennt Euch bitte doch von aller Sünde!

Es gibt solche Bußpredigten und ich kann mich noch sehr gut erinnern, wie ich als junger Christ, so mit 19-20 so eine Predigt gehört habe - ich glaube es war ein Baptistenprediger - und ich hatte danach so ein schlechtes Gewissen, das mich dann umgetrieben hat, ich hab es fast nicht mehr ausgehalten, mein Herz schien mir regelrecht zu zerspringen.

Das Problem war nur, ich wusste überhaupt nicht von was ich umkehren sollte, worüber ich Buße tun sollte. Ich lebte ja kein Larifari-Christsein, ich  hatte mich ja bereits bemüht mein Leben mit meiner ganzen Kraft nach den Willen Gottes auszurichten, ich hatte meinen Glauben sehr ernst genommen, ich hatte ja bereits ein bußfertiges Herz und war immer bereit auch Dinge in meinem Leben zu ändern, wenn der Heilige Geist mir etwas gezeigt hatte. Aber diese Predigt hatte in mir - wohl durch rhetorisches Geschick - ein schlechtes Gewissen erzeugt, einfach um des schlechten Gewissens willen. Denn zur Umkehr treibt uns nicht der Zorn Gottes, und auch keine Predigt über den Zorn Gottes, vermutlich auch keine Predigt über die Hölle, sondern die Güte Gottes.

„Weißt du nicht, dass dich Gottes Güte zur Buße leitet?“ (Röm. 2,5 Luther) 


Damit will ich jetzt nicht sagen, dass es unnötig ist sich zu prüfen und zu reinigen. Ganz im Gegenteil! Es gibt Zeiten, in denen uns der Heilige Geist ganz besonders Dinge über uns offenbart, die wir ändern oder angehen müssen. Nicht immer sind dies Sünden, manchmal sind dies auch nur Schwächen, wo Veränderung nötig und möglich ist. Wir haben uns jetzt bspw. auch im Hauskreis entschieden demnächst eine Art Beichtabend zu machen, wo wir einander unsere Schuld bekennen. Auch um unserer Gemeinschaft noch eine neue Tiefe zu geben.

Hier bei dieser Tempelreinigung geht es aber um etwas anderes. Schauen wir uns das noch mal genau an.


3. Die Tempelreinigung bei Johannes 


Johannes hat ja in seinem Evangelium v.a. die Begebenheiten im Leben Jesu aufgeschrieben, die die Synoptiker nicht geschrieben haben. Die Tempelreinigung findet man jedoch auch bei den anderen Evangelisten, jedoch an einer ganz anderen Stelle. Während sie bei ihnen am Ende des Wirkens Jesu vorkommt, steht sie bei Johannes ganz am Anfang. Man geht daher davon aus, dass es sich um zwei verschiedene Begebenheiten handelt.

Das erste Wunder, von dem Johannes berichtet, ist die Hochzeit zu Kana, bei der Jesus Wasser in Wein verwandelt. Dieses Wunder bewirkte nicht nur vor Ort große Freude, weil der Hochzeitsgesellschaft zuvor der Wein ausgegangen war, sondern es ist auch ein Bild für die Freude, die Gott schenkt. Hier in der sich anschließenden Begebenheit, zeigt Jesus auf, was die Freude in der Gottesbeziehung trüben kann.

Die Händler im Tempel waren nicht zufällig dort, sondern sie waren dort um Opfertiere (Rinder, Schafe, Ziegen, Tauben) zu verkaufen und um Geld zu tauschen. Wir wissen aus den Opfergesetzen des Alten Bundes, dass nur besonders reine Tiere geopfert werden durften. Da es die Zeit des Passah-Festes war, wurde besonders viel geopfert. Zusätzlich zu all den Brand-, Speis- Heils-, Sünd- und Schuldopfern brauchte jede Familie (oder Nachbarsgemeinschaft) noch ein Lamm als Opfertier für das Passahfest.

Nun konnte man diese Opfertiere entweder über eine sehr lange Wegstrecke nach Jerusalem treiben um sie dort zu opfern (oder um festzustellen, dass sie der Prüfung nicht stand hielten, weil sie doch einen Makel hatten) oder sich vor Ort geprüfte Opfertier kaufen.
Diese Geschäfte fanden mit Genehmigung (und natürlich unter Gewinnbeteiligung) der Hohenpriesterschaft im Tempelvorhof statt. Dort wurde auch Geld getauscht, da die Tempelsteuer nur in bestimmten jüdischen Geldstücken gezahlt werden durften (vermutlich weil nur bestimmte Münzen einen ausreichend hohen Silberanteil hatten).

Bei der Menge an Tieren, die gehandelt wurden, können wir uns vorstellen, dass im Tempelvorhof ein ganz schönes „Gwerch“ war. Nicht nur die Tiere haben wahrscheinlich nicht in aller Stille auf ihr baldiges Ende gewartet, sondern auch die Menschen haben gelärmt beim Handeln und Feilschen. Bei der zweiten Tempelreinigung spricht Jesus sogar von einer „Räuberhöhle“, daher ist anzunehmen, dass die Händler und die dahinter stehende Hohepriesterschaft ihre Machtposition und ihr Monopol ausgenutzt hat und extreme Wucherpreise verlangt hat.

Eigentlich sollte dieser Raum, aber ein Raum der Stille und Anbetung sein, ein Raum der Sammlung, ein Raum des Verharrens in der Gegenwart Gottes.

„Der Herr aber wohnt in seinem heiligen Tempel. Alle Welt schweige in seiner Gegenwart.“  (Hab. 2,20 EÜ)


Stattdessen war da Schachern um Gewinn und Blöken von Schafen. Es stand nirgendwo in den Opfergesetzen, dass der Verkauf der Opfertiere im Tempel stattzufinden hat. Dies war eine Entscheidung der Verantwortlichen. Hier haben sich Glaube und Geschäft gemischt. Hier wurde ein religiöses System genährt. Und hier „rastet“ Jesus aus.

Eigentlich passt dieses Vorgehen Jesu nicht ganz in unsere Vorstellung von christlichen Leben oder in unsere Vorstellung von Jesus. Das würde doch eher zu einem Che Guevara passen, aber zu Jesus?! Heißt Christsein nicht eher Kuschen und Ja-Sagen und dem Anderen Recht geben, die linke Backe hinhalten, die zweite Meile gehen, tolerant sein?

Religiöse Toleranz (eine Errungenschaft des 30jährigen Krieges) bedeutet ja nicht mit dem Anderen übereinzustimmen, sondern ihn nicht zu erschlagen, wenn er eine andere Meinung hat, als die eigene.

Jesus war hier auch tolerant, weil er hat niemanden erschlagen. Weder Mensch noch Tier. Er war nur ordentlich. Er hat aufgeräumt. Aus Eifer für seinen Vater. Aus Liebe zu seinem Vater. Er hat es nicht ertragen können, nicht dulden wollen, dass der Tempel des lebendigen Gottes auf so eine Art missbraucht wird.

Nun kann man dieses Verhalten nicht als Legitimation verstehen, um künftig selbst draufzuschlagen, wenn Gott irgendwo gelästert wird. So wie die Inquisition im Mittelalter.

Bei Jesus war die Situation anders. Er hatte das Hausrecht. Er war der Messias. Er war in seines Vaters Haus. Und noch mehr: er selbst war der Tempel. Er konnte sich identifizieren mit dem Wohnsitz Gottes auf Erden. Weil Gott im Tempel in Jerusalem genauso gegenwärtig sein sollte, wie er ihn ihm selbst gegenwärtig war.

Dass jmd. auf so drastische Weise Gottes Willen durchsetzte, wie Jesus es hier getan hat, war dem Volk Israel nicht gänzlich unbekannt. Auch die Propheten hatten manchmal ähnliches getan (z.B. Jeremia). Aber sie waren legitimiert dazu. Daher die Frage an Jesus: „Aus welchem Recht heraus tust Du das?“ Sie wollten einen Beleg für sein Tun, ein Wunder. Jesus antwortete mit einem prophetischen Wort. Er sagte voraus, dass er sterben wird und nach drei Tagen selbständig wieder ins Leben zurück kehren wird. Niemand hat dies verstanden, auch die Jünger haben erst hinterher kapiert, was Jesus meinte.


4. Religiosität hindert die Glaubensbeziehung 


Bei der zweiten Tempelreinigung, von der in den anderen Evangelien berichtet wird, sagt Jesus:

„Mein Haus soll ein Bethaus heißen für alle Völker“ (Mk. 11,17a Luther) 


Ich denke Jesus geht es um mehr, als nur darum, dass das Haus seines Vaters nicht entweiht wird. Sein Eifer, sein Zorn richtet sich hier gegen die religiösen Strukturen, die entstanden sind und letztlich die Beziehung zu Gott verhindern oder erschweren.

Gewiss, die Opfergesetze stammten von Gott selbst und waren ein Hauptbestandteil des Alten Bundes. Aber es ist etwas anderes, ob ich sage: „Mein bestes Rind für Gott“ oder wenn ich arm bin „Meine beste Taube für Gott“ und sie dann im Glauben opfere und mein Anliegen (sei es das Bekennen von Schuld oder der Dank für eine Heilung usw.) vor Gott bringe oder ob mir durch ein kompliziertes religiöses und kommerzielles System dieser Zugang erschwert wird und eigentlich nicht nur persifliert wird, sondern sinnentleert wird.

Die Gemeinschaft mit Gott im Tempel geht dabei unter oder spielt nur noch eine Nebenrolle. Wogegen sich Jesus hier wehrt, ist - wie er es oft kritisiert hat - wieder das Auflegen von Lasten auf die Gläubigen und Suchenden.

„Wehe auch euch Gesetzesgelehrten! Denn ihr ladet den Menschen unerträgliche Bürden auf“ (Lk. 11,46a Schlachter)

Auch wir laden uns manchmal selbst solche Lasten auf oder bekommen sie aufgeladen. Und diese Lasten rauben uns die Freude an Gott. Gott ist der Quell unerschöpflicher Freude. Er ist voller Liebe. Er hat uns schon geliebt, als er uns noch sowas von scheißegal war (1. Joh. 4,19; Röm. 5,8), als wir noch Sünder waren und uns nicht um seinen Willen geschert haben.

Heute lassen wir uns - von wem auch immer - unter Druck setzen, z.B. wenn wir zuwenig gebetet haben, zu wenig in der Bibel gelesen, zu wenig von der sog. „Stillen Zeit“ gemacht haben, zu wenig evangelisiert, zu wenig „Zehnten“ gegeben, zu wenig „Salbung“ haben, zu wenig Kranke geheilt usw.

Versteht mich nicht falsch, das sind alles wichtige Dinge für unser Glaubensleben, die es wert sind kultiviert und gepflegt zu werden. Aber wie perfekt oder unperfekt wir darin sind, hat überhaupt nichts mit der Liebe zu tun, die Gott für uns empfindet. Wenn wir das denken, dann ist das Religiosität. Und so ein religiöser Druck raubt meinem Christsein jede Freude.

Sei entspannt! Gott hat schon alles getan! Schmeiß die religiösen Erwartungen anderer an Dich über Bord! Und lebe in der Freiheit, die Dir Gott schenkt. (Dann verschwindet auch die Patina.) Gottes Gnade reicht für Mörder, dann reicht sie auch für unsere „Möchtegern-Sünden.“
Eine andere Form der Religiosität kann sein, wenn wir uns mehr um die Gemeinde drehen, als um Gott. Das kann man sich zwar bei uns kaum vorstellen, aber man kann auch um seinen Mangel kreisen.

Ich hab vor kurzem eine Online-Predigt von Stefan Driess gehört und da fand ich etwas ganz interessant. Und zwar hat er erzählt, dass einige ehemalige Esoteriker, die durch ihn zum Glauben gekommen sind und mittlerweile in Gemeinden integriert sind, zu ihm gesagt  haben: „Stefan, Du hast zu uns immer über Jesus gesprochen. Jetzt wird nur noch über die Gemeinde gesprochen.“
Wie viel reden wir über Jesus und wie viel über Gemeinden und Theologie? Da kann sich jeder selber mal beobachten. Mir hat es auf jeden Fall zu Denken gegeben.

Gebete und Lobpreis sind Ausdruck einer Beziehung und nicht leere Rituale. Gott liebt uns so sehr, dass er sich gesagt hat, es reicht nicht aus, wenn sie mein Wort haben und darin immer wieder lesen können: „Gott hat mich zuerst geliebt“, nein, sie brauchen auch noch den Heiligen Geist, der es ihnen lebendig bezeugt, dass sie meine Kinder sind.

„Denn der Geist Gottes, den ihr empfangen habt, führt euch nicht in eine neue Sklaverei, in der ihr wieder Angst haben müsstet. Er macht euch vielmehr zu Gottes Kindern. Jetzt können wir zu Gott kommen und zu ihm sagen: "Vater, lieber Vater!" Gottes Geist selbst gibt uns die innere Gewissheit, dass wir Gottes Kinder sind.“ (Röm. 8, 15.16 HfA)

Nur manchmal tut er sich schwer unsere religiöse Hülle zu durchbrechen, weil wir auf stur schalten. Da will der Heilige Geist mir mitteilen: „Ach Norbert, Du bist mein liebes Kind“ und ich denk mir „Ich hab heut aber noch nicht gebetet!“ oder „Ich hab jetzt aber drei Tage nicht in der Bibel gelesen“ o.ä. Versteht Ihr?

Wir sind zur Freiheit berufen!

Für die Freiheit hat Christus uns freigemacht.“ (Gal. 5,1a Rev. Elb.)

„Zur Freiheit hat uns Christus befreit!“ (Gal. 5,1a Luther)

„Durch Christus sind wir frei geworden, damit wir als Befreite leben. Jetzt kommt es darauf an, dass ihr euch nicht wieder vom Gesetz versklaven lasst.“ (Gal. 5,1 HfA)

„Ihr braucht nicht mehr unter der Fuchtel von Gesetzen zu stehen.“ (Gal. 5,1b Volx)
 


Und Paulus meint hier nicht die Freiheit von Bindungen! Dann könnte man sich wieder neu Druck machen: „Ja, aber, hier und dort, da ist noch nicht alles in Ordnung in meinem Leben. Da muss ich noch dran arbeiten. Da brauch ich noch Befreiung.“ Paulus meint hier Freiheit vom Gesetz und davon sich nicht wieder unter irgendein neues religiöses Gesetz zu stellen.

Wenn wir immer wieder neu verstehen, wie frei wir wirklich sind, wie geliebt wir wirklich sind, werden wir auch ganz neue Freude für unser Leben mit Gott bekommen.


AMEN.

1 Kommentar:

  1. Hallo Norbert, deine Predigt ist richtig gut!!! Wer Gottes Freiheit erfahren durfte möchte sie um nichts mehr in der Welt missen!!! In ihr zu bleiben ist ein Geheimnis welches er dir Schenkt wenn dein Lobpreis ihm allein gilt!!! Danke dir! und Danke Jesus!!

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